Nach fast fünfzehn Jahren Beziehung ist mein Mann daran gewöhnt, in meine kreativen Vorhaben involviert zu sein – wenn auch nicht immer ganz freiwillig. Schön, dass er auch diesmal ein klitzekleines Bisschen Muse finden konnte, um über seine Erfahrungen als mein Wegbegleiter zu schreiben.


Anmerkung: Seid beim Lesen dieses und aller noch folgenden Erfahrungsberichte bitte möglichst geizig mit Verurteilungen. Jeder fühlt, wie er fühlt. Und das ist gut so.

Zimmerpflänzchen

Meine Frau war schon immer ein Zimmerpflänzchen. Jedenfalls habe ich mir ihre zahlreichen Wehwehchen und die damit verbundenen Besonderheiten auf diese Weise erklärt und als Teil von ihr sogar lieben gelernt – wenn es mich auch teilweise zum Wahnsinn getrieben hat. War es zu warm – also mehr als 25 Grad -, hatte sie sofort Kreislaufprobleme. Kälte begann bei unter 23 Grad, was sofort mit einem Griff zum Thermostat behoben wurde, aus Angst vor wochenlangen Halsschmerzen. (Wenn Christin und Halsschmerzen zusammentreffen, ist es für mich auch heute noch an der Zeit, mich im Büro zu verschanzen.)
Mal schlug sie sich monatelang mit Übelkeit herum, sodass wir eines Tages, zwischen einer Masse alter Leute, darauf warteten, dass sie eine Magenspiegelung erhielt. Dann wiederum litt sie unter stechenden Knieschmerzen, womit sie manchmal nicht mehr aus der Hocke aufstehen konnte.

Eines der präsenteren Symptome war allerdings Schwindel, verbunden damit, dass sie sich plötzlich nur noch eine begrenzte Zeit auf bspw. Familienfesten aufhalten konnte. Und wenn ich zwischendurch nicht aufpasste, dass sie genug im Bauch hatte, hieß es plötzlich: „Schatz ich bin unterzuckert!“ – und die verzweifelte Suche nach einem Bäcker oder dergleichen begann.

2017

Diese teils niedlichen, teils äußerst penetranten Wehwehchen wurden nur leider über die Zeit deutlich ernster. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir eine Phase im Jahr 2017. Verglichen mit dem, was ich bis dahin von Christin kannte, tauchten hier und da plötzlich besorgniserregende Symptomattacken auf, die Ende des Jahres in einem krassen Tiefpunkt mündeten. Schwindel in jeder Position, achterbahnfahrender Kreislauf, Elektroschocks, die durch den Körper fuhren, und das Gefühl, die nächsten Stunden nicht zu überleben. So beschrieb sie ihre täglichen Symptome zu diesem Zeitpunkt – und Verzweiflung war lange Zeit der einzige Ausdruck, den ihr Gesicht zeigte, auch wenn sie unseren Kindern zuliebe versuchte, stark zu sein.

Gefordert

Die einzige Option waren tägliche Besuche beim Arzt und in der Notfallambulanz – alles nicht nur völlig erfolglos, sondern vor allem niederschmetternd, da unsere Hilflosigkeit mit jedem Mal größer wurde. Mit Blick auf unsere Kinder war unsere Situation eine Katastrophe, zumal ich unseren damals drei Monate alten Sohn nicht so gut beruhigen konnte wie seine schwer erkrankte Mama.

Gefordert von den unberechenbaren Zuständen meiner Frau, die auf einmal nicht mehr allein sein konnte, unseren Kindern, zahllosen nächtlichen Fahrten ins Krankenhaus und zu verschiedenen Ärzten, fiel mein Job regelrecht hinten runter. Dabei hatte ich eigentlich Glück, dass ich als Softwareentwickler im Home-Office arbeiten konnte, was auch viel freie Zeiteinteilung beinhaltete. Trotzdem mussten acht Arbeitsstunden pro Tag gefüllt werden, sodass ich manchmal vor der Wahl stand: Mit Christin im Bett liegen und ihr helfen, in den Schlaf zu finden. Oder mein Pensum erfüllen. Das war wirklich verzwickt.

Hilflos

Ich weiß noch, wie Silvester 2017 all meine Reserven restlos dahinschmolzen, als ich zu allem Übel allein und noch relativ unerfahren einen massiven Server-Crash beheben musste. Das kann man sich vielleicht wie einen komplizierten chirurgischen Eingriff vorstellen, an dessen Erfolg die Existenz einer ganzen Firma hängt. Da kommt man dann nicht dran vorbei, sich zu fragen: Wie taktlos kann Pech eigentlich sein?
Diese technische Katastrophe war aber zumindest lösbar. Die gesundheitlichen Probleme meiner Frau hatten demgegenüber nicht einmal ein Label. So hilflos fühlte ich mich noch nie.

Und diese Hilflosigkeit, war (und ist) eine Sache, die mich besonders belastete. Da ich jemand bin, der gut darin ist, Probleme zu lösen, war für mich bis dahin klar, dass immer eine Lösung existiert. Diese schlimme Erkrankung ließ mich mit dieser Überzeugung regelrecht dastehen wie ein einfältiges Kind, dem mal gezeigt werden musste, wo der Hase langläuft.

Ihr Blick

Wenn ich zurückdenke, erinnere ich mich vor allem an Christins Blick und die Panik in ihren Augen, als sie das Gefühl hatte, dass sie jeden Moment sterben könnte. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte, fühlte mich ständig überfordert.

Es blieb eigentlich nur, jeden Tag aufs neue zu hoffen, dass diese schreckliche Phase endlich ein Ende findet. Umso enttäuschender war es, jeden Morgen doch wieder in ihr verzweifeltes Gesicht zu blicken.

Ich konnte sie nicht ernst nehmen

Es wäre gelogen, würde ich behaupten, immer verständnisvoll reagiert zu haben. Auch an meinem Nervenkostüm ging diese Zeit nicht spurlos vorbei, denn besonders tückisch an dieser Krankheit ist, dass sie, anders als bspw. ein gebrochener Arm oder Grippe, für einen Außenstehenden weder mess- noch sichtbar ist. Hilfreich war dabei natürlich auch nicht, dass alle Ärzte jedwede physische Ursache bei den täglichen Besuchen ausgeschlossen haben. Deshalb kam ich nicht umhin, ihr Gefühl, sie würde bald nicht mehr da sein – so überzeugend sie es auch vermittelt hat – nicht immer so ernst nehmen zu können, wie ich es hätte tun sollen. Erst als ich Jahre später am eigenen Leib annähernd ähnliche Todesangst verspürte, ausgelöst durch einen eingeklemmten Nerv in der Wirbelsäule, der mich glauben ließ, kurz vor einem Herzinfakt zu stehen, konnte ich verstehen, was sie durchlebt haben muss. Ich wünschte, ich hätte ihr mehr beigestanden.

Es läuft

Ich glaube, unsere Kinder waren und sind ein ganz essentieller Grund dafür, dass diese schwere Phase endete, und selbstverständlich auch, dass meine Frau, mangels Hilfe von Ärzten, letztendlich selbst auf Ursachenforschung ging und dadurch herausfand, wie sie besser mit ihrer Erkrankung umgehen kann. Seither läuft alles viel kontrollierter. Klar, gibt es noch Zeiträume, in denen es mal schlimmer ist. Aber da wir mittlerweile wissen, womit wir es zu tun haben, zeigen sich automatisch Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Und das ist sehr hilfreich.

Letztendlich bleibt einem aber nur zu hoffen, diese schlimmen Phasen möglichst großräumig zu umschiffen und das Maximum aus den guten herauszuholen – auch wenn das mit einem Zimmerpflänzchen manchmal gar nicht so einfach ist.