Neulich schaute ich mir auf YouTube ein sehr gestenreiches Video mit Dr. Eccles, einer praktizierenden und forschenden Psychiaterin aus England an. Ihre Arbeit umfasst die Verbindung zwischen Hypermobilität und Ängstlichkeit sowie der Tendenz zu einer abnormen Herzfrequenzerhöhung bei Lagewechsel. Ein Blick in die Gehirne ihrer Studienteilnehmer brachte Interessantes zutage.


Hyper! Hyper!

Instabile Kopfgelenke können viele Ursachen haben, darunter auch genetische Bindegewebserkrankungen wie das Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS) oder die Hypermobility Spectrum Disorder (HSD). Das Kernmerkmal dieser Erkrankungen ist die Hypermobilität, also die erhöhte Beweglichkeit eines oder mehrerer Gelenke – wobei es damit aber noch lange nicht aufhört. Auch das Gefäßsystem unterliegt der kollagen Konstitution, nenne ich es mal, woraus sich für Betroffene eben erwähnter Erkrankungen unterschiedliche und zum Teil auch heikle Risiken ergeben können. Ein prominentes Beispiel ist die Gefahr der Aortendissektion oder schlimmstenfalls -ruptur in Folge fragiler Gefäßwände. Doch ebenso globalere Besonderheiten (das gesamte Gefäßsystem betreffend), wie das Posturale Tachykardiesyndrom (POTS) lassen sich bei hypermobilen Menschen besonders oft antreffen.

Hypermobiliät im Gehirn

Über die Jahre geriet die Hypermobilität nun auch in den Verdacht, in Zusammenhang mit psychischen Störungen zu stehen. Schon in den 90ern fanden Forscher, zum Beispiel Bulbena und Kollegen (1996) sowie Martín-Santos (1998), dass Angstpatienten, verglichen mit gesunden Probanden, bedeutend oft auch hypermobil waren. Eccles und Kollegen (2012) folgten diesem Pfad im Rahmen einer Bildgebungsstudie. Zu erkennen war, dass hypermobile Personen eine größere und somit aktivere Amygdala (das ist quasi die Emotionszentrale im Gehirn) besaßen als Vergleichsprobanden, also entsprechend empfindsamer für Angstreize waren. Dies ging zugleich mit Besonderheiten der Insula einher (das ist ein Hirnabschnitt, der für die Interozeption verantwortlich ist, also dem Empfinden von Signalen aus dem Körperinneren) – Stichwort Überempfindlichkeit.

2012 kamen Eccles und Kollegen obendrein auf die Idee, den Beighton-Score (das ist ein diagnostisches Werkzeug zur Beurteilung der allgemeinen Beweglichkeit) als Maßstab für Hypermobilität mit der Gehirnstruktur der Probanden in Beziehung zu setzen. Das Ergebnis lautete: Je höher der Beighton-Score, umso kleiner waren die Parietallappen der Probanden. Diese sind unter anderem für die Propriozeption (Tiefenwahrnehmung) verantwortlich, also das Wissen darum, wo wir uns im Raum befinden. Für Forschung und Therapie ergeben sich daraus mögliche Verbindungen zu Dyspraxie, also einer motorischen Entwicklungsstörung, die unter anderem mit Koordinationsproblemen sowie Schwierigkeiten der Grob- und Feinmotorik einhergeht.

Übrigens: Auch für Fibromyalgie oder das Reizdarm-Syndrom wurden entsprechende Verbindungen zur Amygdala gefunden (Tracey & Bushnell, 2009; ). Andere Forscher stießen darüber hinaus auf Zusammenhänge zwischen Hypermobilität und dem Chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS/ME; Nijs et al., 2006), Fibromyalgie (Eccles et al., 2021), Fatigue (Eccles & Davies, 2021) oder aber einer Überempfindlichkeit gegenüber nozizeptiven Reizen (Schmerzreizen; Grahame, 2008). Vielleicht wäre es gut, würde sich Dr. Eccles mal mit Dr. Kuklinski oder Prof. Pall unterhalten? 😉

Das Wieso dahinter

Jetzt wäre es natürlich interessant, zu wissen, weshalb die Amygdala bei hypermobilen Menschen häufiger vergrößert ist als bei nicht hypermobilen Menschen. Eingegrenzt auf uns Instabilos würde ich mal kühn vermuten:
Durch haltlose Gelenke (speziell Wirbelgelenke) ausgelöste neuronale Stressreize verursachen neurologische Symptome, die, weil sie sehr gruselig sind, wiederum lang anhaltende Angstreaktionen auslösen. Da unser Gehirn plastisch ist, sich also den Gegebenheiten, die darauf einprasseln, anpassen kann und muss (O’Mara, 2009), kommt es zu einer angstinduzierten strukturellen Gehirnumformung. Das heißt: Die Amygdala, die von lauter Angst umzingelt ist, wird sozusagen gezwungen, mehr Raum anzumieten, um ihrer häufigen und intensiven Benutzung gerecht werden zu können. Auch die Insula spielt dabei eine Rolle, da bei hypermobilen Menschen dahingehend Auffälligkeiten gefunden wurden.

Bezogen auf das Gefäßsystem sieht es ganz ähnlich aus (und Dr. Eccles ist da ganz bei mir 😉 ): Wenn Hypermobilität eine signifikante Abnahme der allgemeinen Gefäßstraffheit verursacht, sackt das Blut bei Lagewechsel in die Beine (orthostatische Intoleranz). Um trotz dieser Ungleichverteilung des Blutes den Blutdruck aufrechtzuerhalten, beschleunigt das Herz seine Pumpleistung, was ebenfalls bei erhöhtem Sympathikustonus/Fluchtreaktionen der Fall ist. Somit könnte eine Erhöhung der Herzfrequenz infolge weitgestellter Gefäße ebenfalls mit Angsterleben assoziiert sein. Auch darauf reagiert die Amygdala mit Wachstum.

Was die Sache mit den kleinen Parietallappen betrifft: Da ist es vielleicht einfach umgekehrt. Angst und körperliche Beschwerden drosseln den Bewegungs- und Explorationsdrang Betroffener, wodurch auch die Impulsvielfalt, die auf den Körper trifft, abebbt. Die Parietallappen haben also nix zu tun, somit schrumpfen sie.
All sowas müsste aber genau untersucht werden. Beispielsweise indem man sich ein paar Säuglinge schnappt und im Rahmen einer lang angelegten Studie in bestimmten Abständen ihre Gehirne scannt und sich dazu anschaut, wie hypermobil sie sind.

Und das ist eigentlich ganz schön blöd. Denn eine vergrößerte Amygdala mündet in noch stärkeren Angstreaktionen, die wiederum stärkere vegetative Reaktionen nach sich ziehen – auch angesichts unbedrohlicher Reize. Instabilos sind diesbezüglich also mal wieder doppelt gebeutelt. Doch andererseits können sie das Wissen darüber auch als Ressource nutzen! Lasst mich noch ein bisschen weiterspinnen: Was wäre zum Beispiel, wenn man die Amygdala schrumpfen könnte?

ADAPT

Ganz ähnlich, aber vermutlich doch etwas professioneller, ließen sich Dr. Eccles und andere schlaue Köpfe eine vielversprechende Therapiemethode einfallen, um Angstzustände hypermobiler Menschen besser als auf den althergebrachten Wegen zu behandeln. Hierfür wurde ADAPT (Altering Dynamics of Autonomic Processing Therapy) geboren, bei dem sich Ansätze aus der Gesundheitspsychologie und behaviorale Komponenten miteinander vereinigen. Das Ziel dabei ist die Verbesserung bzw. die Verbesserung der Einordnung der Signalwahrnehmung im Körper (siehe Insula) durch beispielsweise die Einbeziehung des Situations-Kontextes. Dadurch sollen Angstreaktionen minimiert und der Amygdala eine Pause verschafft werden. Das könnte dann so aussehen: „Oh, mein Herz rast – was ist da los? Ach so, ja, ich jogge gerade! Alles klar, es ist alles in Ordnung.“

Wenn ihr jetzt wie verrückt nach geeigneten ADAPT-Therapeuten Ausschau halten oder euch noch genauer informieren wollt, muss ich euch ein bisschen bremsen. Diese Therapieform steckt nämlich noch in den Kinderschuhen, muss also erst wissenschaftlich erprobt werden. Der Ansatz klingt doch aber, rein vom gesunden Menschenverstand, ganz gut, oder? Ich jedenfalls sehe gute Gründe, Dr. Eccles ab sofort anzufeuern.


BULBENA, A., et al. (1996). Somatotype in panic patients. Anxiety, 2, 80-5.

Eccles, J. A. et al. (2012). Brain structure and joint hypermobility: relevance to the expression of psychiatric symptoms. The British journal of psychiatry : the journal of mental science, 200(6), 508–509. https://doi.org/10.1192/bjp.bp.111.092460

Eccles, J. A. (2019). Hypermobility and autonomic dysfunction: insights from bench to bedsideJournal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry. 90, A6.

Eccles, J. A. et al. (2021). Beyond bones: The relevance of variants of connective tissue (hypermobility) to fibromyalgia, ME/CFS and controversies surrounding diagnostic classification: an observational study. Clinical Medicine. 21 (1) 53-58; DOI: 10.7861/clinmed.2020-0743.

Eccles, J. A. & Davies, K. A. (2021). The challenges of chronic pain and fatigue. Clinical Medicine, 21 (1). pp. 19-27. ISSN 1470-2118.

GRAHAME, R. (2008). Hypermobility: an important but often neglected area within rheumatology. Nat Clin Pract Rheumatol, 4, 522-4.

MARTIN-SANTOS, R. et al. (1998). Association between joint hypermobility syndrome and panic disorder. Am J Psychiatry, 155, 1578-83

NIJS, J., AERTS, A. & DE MEIRLEIR, K. (2006). Generalized joint hypermobility is more common in chronic fatigue syndrome than in healthy control subjects. J Manipulative Physiol Ther, 29, 32-9.

O’Mara, S. (2009): Torturing the brain: On the folk psychology and folk neurobiology motivating ‚enhanced and coercive interrogation techniques‘. Trends in Cognitive Sciences, 13, 497-500.

TRACEY, I. & BUSHNELL, M. C. (2009). How neuroimaging studies have challenged us to rethink: is chronic pain a disease? J Pain, 10, 1113-20.


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