Heute komme ich mir richtig schäbig vor.


Sorry, da muss ich passen

Am Wochenende rutschte mir beinahe das Gesicht in die Hose, als ich las, was mein Masterstudium mir in Zukunft alles abverlangen wird. Mit dabei natürlich das Übliche: Klausuren, Vorleistungen, Hausarbeiten, Projektarbeiten usw. Was mich so überraschte war jedoch, dass zu jedem Modul eine verpflichtende Präsenzveranstaltung gehört, das heißt: Irgendwo am anderen Ende von Deutschland gibt es für eine Horde Fern-Studierende einen Treffpunkt, wo ihnen Mentoren Vorträge halten und komplexe Fragestellungen beantwortet haben wollen. ACHT Stunden, ohne flexible Pausen und ohne die Möglichkeit, konsequenzenlos auszubrechen. Sorry, da muss ich leider passen.

Angst haben

Ich habe sowas schon einmal absolviert – und auch geschafft. Doch der Preis ist für mich einfach viel zu hoch, besonders in Kombination mit der Angst, die ich vorm Verlassen meiner Schutzzone habe. Und ja, schon klar: Bei den meisten Ärzten würde es jetzt sofort Klick machen und ihnen käme die für sie einzig logische Schlussfolgerung: „Aha, da hammers doch! Anststörung! Die g’hört zum Pschychiater und mit vernünftchen Medigamenten versorcht!
Dafür gibt’s von mir aber definitiv kein Leckerli, liebe Onkel Doktors. Obwohl ich zugeben muss: Chronisch Kranke haben, verglichen mit Gesunden, in der Tat hin und wieder etwas mehr Angst. Müssen sie ja auch, schließlich gibt es vieles, was ihnen gefährlich werden könnte. Damit meine ich natürlich keine Fressfeinde, die im Dunkeln auf humpelndes Getier lauern, sondern eher Energiefresser, wie zum Beispiel anstrengende Leute, anstrengende Situationen, anstrengendes Wetter, anstrengendes Essen oder anstrengende Aufgaben. All sowas kostet chronisch Kranke massenhaft Kraft. Auch Angst kostet Kraft, keine Frage, doch wir müssen uns wohl oder übel damit abfinden, dass die Angst in der Regel einfach nur ihren Job macht.

Es gibt Optionen

Zum Glück bietet die Fernuni Hagen Optionen. Behinderte und chronisch Kranke müssen an solchen Veranstaltungen nicht teilnehmen, aber im Gegenzug bestimmte Ersatzleistungen erbringen. Was genau, das erfahre ich noch. Klar ist jedenfalls, dass nicht jeder solche Ansprüche geltend machen darf, sondern nur, wer seine Erkrankung auch nachweisen kann. Eben deshalb fuhr ich heute zu meiner Ärztin und bat um ein entsprechendes Attest.

Fiel mir ganz schön schwer, ehrlich gesagt. Solche Extrawürste wirken selbst auf mich wie pure Bequemlichkeit, obwohl ich genau weiß, dass es nicht so ist. Aber immer, wirklich immer, wenn ich den Spiegel schaue, denke ich: „Du bist doch nicht krank? Du bist eine junge Frau mit vielen Fähigkeiten, die mit einem Fingerschnipp die Weltherrschaft an sich reißen könnte. Also mach es doch, um Himmel Willen!“ (Ihr seht, der grandiose Anteil in mir ist noch lebendig. :D).

Ist bestimmt nicht schwer rauszukriegen, dass ich deshalb öfter mit mir hadere. Und dass ich in genau solchen Momenten, also in Momenten, in denen ich Extrawürste einfordere, das Gefühl habe, eine schamlose Ausnutzerin zu sein. Weil das, was ich nach außen darstelle, nicht zu dem passt, was ich durchmache. Damit es auch andere begreifen, müsste ich an manchen Tagen eigentlich einen Sauerstoffschlauch unter der Nase tragen oder mir in aller Öffentlichkeit meine Vitaminspritzen in den Bauch drücken; oder mich in einen Rollstuhl setzen bzw. ab und zu wenigstens einen Rollator vor mir herschieben. Und genau deshalb komme ich mir schäbig vor. Weil das, was ich darstelle, nur selten zu dem passt, was ich durchmache.

Klar würde ich

Die Wahrheit ist aber: Viele Dinge strengen mich nun mal an und ich muss ihnen zu meinem Schutz ausweichen, auch wenn es mich anstinkt; auch wenn ich viel lieber ins Auto hüpfen, halb Deutschland durchqueren, solche langatmigen Veranstaltungen rocken, mich mit einem Einkaufsbummel belohnen und auf dem Rückweg hin und wieder an schönen Ecken halten und die neuen Eindrücke genießen würde. Wäre aber nicht so gut. Würde mir schlimmstenfalls eher Zeit mit meiner Familie rauben, da es mit der Hinfahrt und der Teilnahme ja längst nicht getan ist. Anschließend muss ich mich schließlich noch regenerieren. Ergo: Ich bleib Zuhause und gönne mir meine Extrawurst mit Majo. Ausnahmsweise.