Ich weiß mittlerweile, dass ich nicht allein bin. Es gibt Viele da draußen, die in einem Körper leben müssen, der sie täglich fast zu Tode quält. Nicht selten wünscht man sich dann, dass aus einem Fast ein Endlich wird.


Meinungen sind Störungen

Wenn ich all die Jahre stumm geglaubt hätte, dass meine zahlreichen Symptome von einer psychischen Störung herrühren, wüsste ich vermutlich noch immer nicht, was mir in Wirklichkeit fehlt. Kaum ein Arzt, den ich bis jetzt aufgesucht habe, hielt es für notwendig, mal etwas genauer hinzusehen. Nicht einmal, als ich zielgenau mit dem Finger auf das Problem zeigen konnte.

Viele Ärzte, die nichts mit meinen Überlegungen anzufangen wussten, fühlten sich auf der Stelle bedroht und signalisierten, dass ich als Nichtmedizinerin gefälligst den Mund zu halten habe. Kam mir dennoch ein weiterer Mucks über die Lippen, hatte ich prompt die nächste somatoforme Störung an der Backe, inklusive Rezept für eine Ladung Psychopharmaka.

Mein Symptomregenbogen

Zugegeben, wem würde schon auf Anhieb eine Krankheit einfallen, die …

Herzrhythmusstörungen
Taubheit
Missempfindungen
Sehstörungen
Schwindel
Schwäche in Armen und Beinen
Atemnot
Kreislaufprobleme
geschwollene, blutunterlaufene Augen
Muskelzucken
Vibrieren im ganzen Körper
Stromstöße
nächtliches Aufschrecken
Kopfdruck
Magen-Darm-Beschwerden
… und monströsen Frust verursachen kann?

Da bleibt, wenn einem nichts anderes einfällt, letztendlich wohl wirklich nur die Psyche.

Es mag paradox erscheinen, doch ich glaube, ganz unrecht haben die Ärzte damit nicht. Ich persönlich stelle mir das so vor:
Unsere Seele hat stets die besten Absichten, wenn sie uns in Form eines eigentümlichen Bauchgefühls einen Hinweis zuflüstert. Sobald wir diesen jedoch mehrfach ignoriert haben, wird sie drastisch. Tiefer und schmerzhafter bohren sich ihre Botschaften in unseren Körper und zwar solange, bis es für uns unmöglich geworden ist, wegzusehen. Dann endlich hat sie, was sie wollte: Dann endlich starren wir ununterbrochen nur noch auf uns.

Dabei gilt: Je wichtiger die Botschaft, umso schlimmer stellt sie sich uns dar. Das jeweilige Endergebnis bekommt dann für gewöhnlich sogar einen Namen. Zum Beispiel Krebs. Oder Magengeschwür. Oder Neurodermitis. Oder Bandscheibenvorfall. Oder, für den Fall, dass auf die Schnelle kein konkreter Defekt gefunden wird, Somatoforme Störung. Wobei Störung eindeutig durch etwas Passenderes, wie Hinweis oder Weckruf ersetzt werden sollte – jedenfalls wenn ihr mich fragt.

Maulkörbe für die Seele

Obwohl Ärzte sehr gut darin sind, hinter vielen ernsthaften Erkrankungen automatisch ein tiefsitzendes seelisches Problem zu vermuten, bringen sie es dennoch fertig, falsche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Hat der Patient Pech, wird sein Leid unter Einbildung verbucht und künftig rigoros davon ausgeschlossen, ernst genommen zu werden. Und hat er nochmals Pech, bekommt er Pillen verordnet, also nichts anderes als einen Seelenmaulkorb, die keinerlei Einfluss auf die Ursache der Erkrankung ausüben.

Die quälenden Symptome verschwinden dann zwar mitunter, doch damit auch die allerletzte Möglichkeit, herauszubekommen, wo sich das erste Kettenglied der Erkrankung versteckt hält. Glücklicherweise ist unsere Seele hartnäckig. Sie mag ihrer Stimme beraubt worden sein, doch das hält sie bis zu unserem körperlichen Ende nicht davon ab, auf sich aufmerksam zu machen – notfalls sogar indem sie sich in unsere Kinder einklinkt (mehr dazu an anderer Stelle).

Ursachenjagd

Der Ort, an dem sich die kunterbunten Fingerabdrücke unserer Seele manifestiert haben, scheint in manchen Fällen unauffindbar zu sein. Wenn Standarduntersuchungen ihn nicht zum Vorschein bringen können, wirkt es, als ob unsere Seele mit allen Mitteln verhindern möchte, dass ein Dritter ihre Botschaften entdecken und uns von ihnen befreien könnte – noch bevor wir sie verstanden haben!

Bei mir ist das scheinbar so. Oder meine Seele hat rein gar nichts damit zu tun – was aber nicht sein kann. Denn Körper und Seele bilden, solange wir leben, eine untrennbare Einheit.

In meinem Fall bedarf es eines besonderen, jedoch sehr teuren Zaubertricks, um herauszufinden, wo genau nun das kaputte Teil in mir sitzt. Man kann schließlich nicht an sich arbeiten – weder körperlich noch seelisch -, wenn so viele Symptome einen in Ketten legen. Falls jemand von euch einen ähnlich bunten Symptomregenbogen vorweisen kann, dem rate ich, so wie ich es vorhabe, zu einem Upright-MRT. Denn des Pudels Kern ist womöglich ein längst vergangener Unfall, ein Sturz oder ein Schleudertrauma. Jetzt fragt ihr euch bestimmt, was sowas mit Seelengeflüster zu tun hat, richtig?

Stellt uns die Seele etwa ein Bein?

Dass eine beleidigte Seele sogar Krebs verursachen kann, ist für Psychoonkologen längst nichts Neues. Doch die Vorstellung, dass sie uns schubst, damit wir hinfallen, oder dass sie uns einen Auffahrunfall mit waschechtem Schleudertrauma beschert, wirkt doch eher absurd.

So betrachtet stimmt das. Die Seele stellt uns selbstverständlich kein Bein. Doch vielleicht benutzt sie den Unfall und nistet sich dort ein, wo dieser Kratzer an uns hinterlassen hat. Vergleichbar ist das, sagen immer mehr Zahnärzte, mit Karies, der, obwohl der ganze Mundraum voller Bakterien wimmelt, immer nur einen einzigen, einen bestimmten Zahn befällt – da eben dieser jene Sehnsüchte symbolisiert, die wir missachten. Psychodontologie heißt das dazu passende Fachgebiet. Eine Vertreterin heißt Dr. Karin Bender und sie führt einen spannenden YouTube-Kanal namens FolgeDirSelbst.

Man muss funktionieren

Nicht nur bestimmte Zähne können durch unsere Ignoranz uns selbst gegenüber geschwächt werden. Sondern auch andere Teile des Körpers. Das hat damit zu tun, dass die heutige Zeit zum größten Teil durch negative Emotionen bestimmt wird und viele Menschen dazu neigen, diese wie in einem Sammelbecken anzustauen. Anstatt laut zu werden, schluckt man seine Wut herunter. Anstatt sie zu zeigen, unterdrückt man seine Trauer. Anstatt sie zuzugeben, versteckt man seine Angst. Emotional zu sein ist eben nicht gesellschaftstauglich. Man muss schließlich funktionieren.

Super-GAU

Den Emotionen ist das allerdings egal.

Wenn ihnen der übliche Weg nach draußen verwehrt wird, suchen sie sich über körperliche Schleichwege ein anderes Ventil. Bei manch einem ist das das Herz oder der Magen. Bei einem anderen ist das die Haut. Und einige, besonders die mit zu viel Ballast auf den Schultern, tragen ihr Ventil (oder gleich mehrere davon) in der Wirbelsäule.

So betrachtet, dürfte es doch niemanden mehr verwundern, wenn ein Auffahrunfall dann den Super-GAU auslöst.

Ihr seht: Körper und Psyche bilden eine Einheit – zumindest ist das meine Überzeugung. Das würde jedenfalls erklären, warum manche Menschen nach einem Unfall ein Symptommonster entwickeln und andere nicht. Oder dass selbst topfite Personen einen hochgradig auffälligen Mrt-Befund haben können, während er bei jenen, die sich seit Jahren elend fühlen, unauffällig aussiehst.

Was sagt ihr dazu?

Kleine Erinnerung: Zum Abschluss dieses Beitrags möchte ich abermals deutlich machen, dass ich keine Ärztin bin, nur Betroffene. Betroffen wovon? Nun, ich würde sagen von einem Gesundheitssystem, das Menschen wie Maschinen behandelt, bis sie schrottreif sind. Glücklicherweise kenne ich meine Baustelle. Mir fehlt lediglich ein kundiger Arzt, der meine Diagnose bestätigen kann.


(Foto: Sharon McCutcheon – pexels.com, Snapwire – pexels.com, Jeffrey Czum – pexels.com, Freephotos – pixabay.com)