Hattet ihr schon einmal das Gefühl, nicht mehr ganz mit euch selbst verbunden zu sein, so als ob ein großer Teil eures Ichs die Flucht ergriffen hätte und nur noch ein dürftiges Bisschen davon euren Körper am Laufen hält? Oder kommt ihr euch hin und wieder vor wie ein Alien, der die Welt durch eine dicke Glaskuppel betrachten? Wirkt alles fremd, selbst das Vertraute? Oder passiert alles davon zugleich? Dann quatschen wir heute mal über Depersonalisation und Derealisation.


Spaziergang auf dem Mond

Als ich noch unter einer großen Symptom-Lawine begraben lag, hatte ich manchmal das Gefühl, mir selbst völlig fremd zu sein. Manchmal sah auch die Umgebung völlig fremdartig aus und das Hindurchbewegen fühlte sich an als ob ich über den Mond spazierte. Solche Wahrnehmungseigenarten nennt man Depersonalisation und Derealisation (DP, DR). Was davon was ist, erkläre ich euch jetzt.

Depersonalisation und Derealisation – was versteht man darunter?

Depersonalisation bezieht sich auf das Gefühl, von sich selbst entfremdet oder losgelöst zu sein. Menschen, die Depersonalisation erleben, haben den Eindruck, als ob sie sich selbst oder ihre Handlungen von außen beobachten, als ob sie in einem Traum oder einem Film wären. Sie fühlen sich möglicherweise distanziert von ihren eigenen Gedanken, Emotionen und Körperempfindungen.

Wie unter einer Glaskuppel…(Bild: DALL.E2)

Derealisation bezieht sich auf das Gefühl, dass die Umgebung oder die äußere Welt unrealistisch oder fremd erscheint. Menschen, die Derealisation erleben, haben den Eindruck, als ob die Welt um sie herum unwirklich ist, wie in einer Traumlandschaft. Objekte und Menschen können verändert oder verzerrt erscheinen, und die Umgebung kann als unecht oder fremd wahrgenommen werden.

Gut zu wissen: Beides kann gleichzeitig vorherrschen. Deshalb spricht man, wenn dieses Erleben besonders stark ausgeprägt ist, von Depersonalisations-Derealisations-Syndrom.

Sorgen machen oder entspannen?

Manchmal glauben Menschen, die eine Depersonalisation und/oder Derealisation ausgeprägt haben, sie seien psychisch gestört. Doch so einfach ist es dann auch wieder nicht.
Zum einen muss geschaut werden, wie lange dieser Zustand bereits anhält. Bei einer vorübergehenden Episode, also über eine Dauer von etwa zwei Wochen, müssen nicht sofort die Alarmglocken geläutet werden. Bei Stress, Übermüdung, Unterzuckerung oder emotionaler Belastung kann sowas schon mal vorkommen und ebenso wieder verschwinden.
Obendrein darf und muss man sich vor Augen halten: Jemand mit einer waschechten Psychose, zum Beispiel Schizophrenie, kann Wirklichkeit und das, was seiner Störung entspringt, nicht mehr auseinanderhalten. Jemand mit Depersonalisation/Derealisation hingegen schon, erkennbar an der üblichen Schilderung seiner Beschwerden mit „so, als ob“. Damit lässt sich doch erstmal aufatmen, was?

Dauert das komische Gefühl der Entfremdung über längere Zeit an, ließe sich eine sekundäre Form in Folge einer Grundursache vermuten. Dazu können zählen: Migräne, Temporallappenepilepsie, Angststörung, Depression, posttraumatische Belas­tungsstörung, Persönlichkeitsstörung, aber selbstverständlich auch HWS-Störungen wie CCI.

Hab ich oder hab ich nicht?

Wer von euch wissen möchte, ob er eventuell am Depersonalisations-Derealisations-Syndrom leidet, kann sich testen – und bei hinreichender Verdachtsbestätigung, insbesondere wenn auch ein Leidensdruck vorherrscht, damit zum Arzt gehen und Rat einholen. Hier mal ein paar Möglichkeiten:

Kleiner Hinweis: „State“ und „Trait“ sind Begriffe, die in der Psychologie verwendet werden, um zwei verschiedene Arten von Zuständen einer Person zu beschreiben. State (Zustand): Ein „State“ bezieht sich auf einen vorübergehenden und situativen Zustand oder eine Eigenschaft einer Person. Dieser Zustand kann durch äußere Umstände, Ereignisse oder innere Emotionen beeinflusst werden. Zum Beispiel könnte Angst ein vorübergehender Zustand sein, der auf eine bestimmte Stresssituation zurückzuführen ist. States sind nicht stabil und können sich im Laufe der Zeit ändern. Trait (Eigenschaft): Ein „Trait“ hingegen beschreibt eine stabile und dauerhafte Eigenschaft oder Tendenz einer Person. Diese Eigenschaften sind charakteristisch für eine Person über einen längeren Zeitraum hinweg und bleiben relativ konstant, unabhängig von äußeren Einflüssen oder Situationen. Zum Beispiel könnte Introversion eine Persönlichkeitseigenschaft sein, die über einen längeren Zeitraum hinweg beständig ist.

Tipps und Kniffe

Und wie nicht selten gibt’s zum Schluss ein paar Tipps, die ihr ausprobieren könnt, um eure Depersonalisation/Derealisation nach und nach in den Griff zu bekommen. Aber bitte immer erst, wenn ihr den Segen eines Arztes bzw. Psychotherapeuten erhalten habt.

  1. Körperliche Aktivität: Häufig als Teil einer Stressreaktion sind DR/DP dazu da, euch in Bewegung zu bringen, um einem Stressor zu entkommen. Also bewegt euch! Bewegung hilft, Stresshormone in kurzer Zeit abzubauen.
  2. Kaugummi: Schon mal daran gedacht, etwas zu essen, während euch ein Bär angreift? In so einer Situationen wäre das natürlich völlig ausgeschlossen. Doch wenn in Wirklichkeit gar kein Bär in der Nähe ist, könnt ihr euer Gehirn dazu bringen, das Stresspedal loszulassen, indem ihr Kaugummi kaut. Euer Gehirn wird sich denken: „Ach so, wir essen. Dann gibt’s also keinen Grund zur Sorge.“
  3. Entspannung: Regelmäßige Entspannungstechniken wie Meditation und progressive Muskelentspannung können helfen, die Stressreaktion abzumildern und Spannungen, besonders im Nacken- und Schulterbereich, zu reduzieren und das Nervensystem zu beruhigen.
  4. Atemübungen: Ihr wisst, dass ich schon oft zum Thema Atmen geschrieben habe. Wir alle atmen zwar, doch atmen wir nicht unbedingt effektiv. Anstatt tief und langsam in den Bauch zu atmen, atmen wir flach und schnell in den Brustkorb! Dadurch bekommt unser Gehirn über lange Zeit immer etwas zu wenig Sauerstoff. Dadurch kann sich dann eine DP/DR entwickeln. Also: Atmet!
  5. Bedürfnisse: Wenn etwas im Körper sich meldet, darf man genauer hinhören. Vielleicht braucht es einen Richtungswechsel, eine Neuorientierung oder sogar eine Abrissbirne.
  6. Therapeutische Unterstützung: Professionelle Hilfe durch einen Psychotherapeuten oder Psychiater kann Menschen mit DP und DR helfen, die zugrunde liegenden psychischen Probleme anzugehen und Bewältigungsstrategien zu entwickeln.

Viel Erfolg beim Ausprobieren!


Bild: Dalle.E2