Achtung! Jetzt kommt eine Frage, die rhetorischer nicht sein könnte: Hattet ihr während eines Arztbesuchs jemals den Eindruck, nicht ernstgenommen zu werden? Ja, ich weiß… Im Prinzip schreibe ich diesen Beitrag sowieso nur der Vollständigkeit halber. Medical Gaslighting und instabile Kopfgelenke sind ja sozusagen verheiratet.


Wenn das Gaslicht flackert

Lasst mich euch heute mal ins Jahr 1888 entführen. In dieser Zeit spielt das 1938 erstmals aufgeführte Theaterstück „Gas Light“, später als Film bekannt unter dem Titel “Gaslight”. Diese fesselnde Geschichte dreht sich um die mysteriösen Geschehnisse im Leben der Eheleute Jack und Bella. Bella, von unerklärlichen Vorfällen geplagt, findet sich immer tiefer in einem Strudel der Verwirrung und Angst wieder. Objekte verschwinden auf rätselhafte Weise, nur um wie von unsichtbarer Hand gelenkt wieder aufzutauchen. Nachts zuckt das Gaslicht nervös, als ob es eine unheilvolle Vorahnung trüge, während Jack von Tag zu Tag immer unergründlicher wird.

In beharrlicher Leugnung dieser Vorkommnisse verweist Jack seine Frau fortlaufend auf ihre Einbildungskraft und lässt sie glauben, dass ihre psychische Gesundheit schwindet. Bella beginnt daraufhin, mehr und mehr an ihren geistigen verfvermutet nicht, dass es Jack ist, der heimlich das Gaslicht herunterregelt – eine Möglichkeit, die in ihrer wachsenden Verunsicherung untergeht. Erst als ein Kommissar in die Situation eingreift, nimmt die Geschichte eine Wendung. Doch keine Bange, ich spoilere nicht.

Bella weiß nicht weiter: Ist sie wirklich verrückt oder passieren die seltsamen Dinge tatsächlich? (Bild: wirbelwirrwarr)

Was ist Gaslighting?

Gaslighting wurde durch diese Art der Manipulation in den 60er Jahren zum psychologischen Fachbegriff. Er wird verwendet, um Bemühungen zu beschreiben, jemandes Wahrnehmung der Realität solange anzuzweifeln, bis dieser schlimmstenfalls nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Schein unterscheiden kann.

Gaslighting kann in verschiedenen Kontexten vorkommen, wie zum Beispiel in Partnerschaften, im familiären Umfeld oder auf der Arbeit. Obendrein gibt es eine spezielle Form: Das Medical Gaslighting.

Was ist Medical Gaslighting und wer ist davon betroffen?

Der Ausdruck Medical Gaslighting umschreibt Situationen, in denen die Bedenken zur Gesundheit von Patienten entweder angezweifelt, abgewertet oder nicht angemessen ernst genommen werden. Seinen Ursprung könnte dieses Phänomen nach meiner Vorstellung in den frühen Phasen der medizinischen Ausbildung haben. Hier hegen unerfahrene Medizinstudenten eine beträchtliche Ehrfurcht vor ihrem Fachgebiet und ihren Mentoren und saugen begierig alles auf, was man ihnen vermittelt. Eine allgegenwärtige Maxime lautet: „Hört ihr Hufschläge, denkt an Pferde, nicht an Zebras.“ Daraufhin werden Mediziner ermutigt, stets nach der häufigsten und nicht nach der exotischsten Diagnose für die Erkrankung einer Person zu suchen. In einem Gesundheitssystem, das von Profit und Zeitknappheit geprägt ist, entwickelt sich dieser Ansatz unbeabsichtigt zu einem bedenklichen Muster, das Zebras wie uns vernachlässigt.

Junge Mediziner lernen, das Seltene nur selten in Erwägung zu ziehen. (Bild: Владимир Берзин – pixabay.com)

Übrigens: Frauen, Menschen mit farbiger Haut und jene, die an seltenen oder wenig erforschten Krankheiten leiden, sind besonders stark von Medical Gaslighting betroffen. Die erhebliche Gefahr dabei besteht darin, dass Personen, die dringend medizinische Unterstützung benötigen, aufgrund von Medical Gaslighting möglicherweise keinen Zugang zu notwendigen Diagnosen oder Behandlungen erhalten.

Anzeichen für Medical Gaslighting

Falls ihr euch fragt, ob ihr Medical Gaslighting schon mal erlebt habt, werft mal einen Blick auf folgende Situationen.

Und? Kommt euch was bekannt vor? Wenn ja, dann habt ihr bereits Bekanntschaft mit Medical Gaslighting gemacht. Fühlt euch gedrückt.

Was hilft gegen Medical Gaslighting?

Zumindest gibt es einiges, was man gegen Medical Gaslighting unternehmen kann. Und das solltet ihr auch, besonders wenn ihr eine ernsthafte Erkrankung habt und möglichst schon vorgestern hättet versorgt werden müssen. Hier also ein paar kleine Anregungen, die dazu beitragen, dass ihr endlich gesehen werdet:

  • Vergesst nicht, dass ihr euren Körper am besten kennt!
  • Wenn ihr spürt, dass etwas nicht stimmt, ist dieses Gefühl nicht grundlos da. Seht darin einen Hinweis, dem ihr selbstverständlich nachgehen dürft.
  • Gebt euch erst zufrieden, bis euer Arzt euch eine Erklärung oder eine glaubhafte Entwarnung geben kann.
  • Sucht dafür das Gespräch mit ihm und lasst ihn alles wissen, was euch belastet. Lest dafür am besten vorsorglich den Blogbeitrag „Wenn Ärzte sich querstellen“.
  • Befragt Dr. Google. Ihr müsst begreifen, dass Ärzte nicht alles wissen (können), also informiert euch selbst über eure Beschwerden und sprecht darüber mit eurem Arzt.
  • Habt ihr nach all dem immer noch den Eindruck, euer Arzt will euch nur abwimmeln oder nimmt euch nicht ernst? Sucht einen anderen!
  • Sprecht mit Menschen, denen ihr vertraut, über eure Sorgen und Erlebnisse und holt euch dort regelmäßig Mut, eurem Bauchgefühl zu folgen.

Alles Gute für euch!