Der Schädel fühlt sich an, als würde er gleich platzen, das Sehen verschwimmt, Doppelbilder tauchen auf, der Nacken tut weh – willkommen in der Welt der Intrakraniellen Hypertension (IIH), auch bekannt als Pseudotumor cerebri. Friederike, eine löwenstarke EDS-Betroffene und Mama zweier ebenfalls betroffener Kinder, kennt die tückische Komorbidität wie kaum eine andere. In diesem Beitrag teilt sie ihr geballtes Wissen: warum IIH bei EDS so häufig übersehen wird, welche Warnzeichen ernst genommen werden müssen – und wie die Diagnose trotzdem gelingt. Danke, liebe Friederike!
Was ist intrakranielle Hypertension (IIH)?
Die (idiopathische) intrakranielle Hypertension oder Pseudotumor cerebri ist eine mögliche Begleiterkrankung des Ehlers-Danlos-Syndroms (EDS). Beide Begriffe werden heute noch in der Medizin benutzt. Es handelt sich bei dieser Erkrankung um pathologisch erhöhten Druck im Gehirn. Der Begriff
Pseudotumor cerebri beschreibt, dass das Gehirn von den Symptomen her so reagiert, als hätte es
einen raumfordernden Tumor – es hat aber keinen. Der andere Begriff bedeutet Folgendes:
idiopathisch (Ursache unbekannt) intrakraniell (innerhalb des Schädels) Hypertension (Überdruck).
Ursachen für erhöhten Hirndruck
Ursachen für den chronisch erhöhten Hirndruck können sein:
- Orale Kontrazeptiva,
- Cushing-Syndrom,
- Vitamin-A-Mangel,
- leichtes Schädel-Hirn-Trauma (SHT),
- Morbus Behçet,
- Hyperthyreoidismus,
- Steroideinnahme,
- Impfungen,
- Schwangerschaft,
- Menarche,
- systemischer Lupus erythematodes,
- Mittelohrentzündung mit Schädelbasisbeteiligung,
- radikale Tumoroperationen im Halsbereich.
- Häufig wird auch eine Sinus- oder Hirnvenenthrombose mit der Erkrankung assoziiert,
- aber auch Sinusvenenstenosen und/oder ein hypoplastisch angelegtes Sinusvenengeflecht.
- Ebenso Übergewicht, chemische Stoffe (Ketone, Lindan),
- Vitamin-A-Überdosierung, Absetzen von Steroiden,
- Thyroxingabe bei Kindern, Hypoparathyreoidismus,
- Addison-Krise Urämie,
- Eisenmangelanämie,
- Medikamente,
- Menstruationsunregelmässigkeiten.
- Auch nach einer Covid-Infektion wurden sehr viele Fälle mit erhöhtem Hirndruck dokumentiert. Auch bei vorher völlig gesunden Kindern. Erste Studien dazu laufen.
Symptome
Wer einen erhöhten Hirndruck im Schädel hat, könnte folgende Symptome haben:
- Kopfschmerzen,
- Schwindel,
- Doppelbilder,
- verschwommenes Sehen oder andere Sehstörungen,
- Gesichtsfeldausfälle,
- Tinnitus – möglicherweise pulssynchron,
- Übelkeit bis zu Erbrechen,
- Nackenschmerzen.
- Seltener sind Geruchs- und Geschmacksstörungen, hoher Blutdruck, Missempfindungsstörungen, Gangunsicherheit, Lähmungen.

Der Weg zur Diagnose
Klinische Untersuchung
In der klinischen Untersuchung findet sich oft ein unauffälliger neurologischer Status. Bei einer Augenuntersuchung zeigt sich jedoch oft eine ein- oder beidseitige Stauungspapille, eine Randunschärfe oder eine sogenannte Papillenprominenz. Seltener sind ein- oder beidseitige Lähmungen des Augennervs (Nervus abducens ) oder eine Sehschärfen- oder Gesichtsfeldminderung. Kinder mit hohem Hirndruck fangen oft an zu Schielen.
Darüber hinaus kann eine laborchemische Hypophyseninsuffizienz mit mangelhafter Reaktion auf Hypophysenstimulation nachgewiesen werden.
Lumbalpunktion
Besteht durch die klinische Untersuchung, den Augenarztbefund oder das MRT der
Verdacht auf erhöhten intrakraniellen Druck, wird eine Lumbalpunktion durchgeführt. Dafür wird (oft) im
Sitzen eine Nadel im Lendenwirbelbereich durch die Dura („Schutzhülle“ des zentralen Nervensystems) in den Spinalkanal gestochen, und dann im Liegen eine Druckmessung des Liquors (des Nervenwassers) durchgeführt. Im Allgemeinen gilt: Bei einem Druck oberhalb von 25 cm H2O gilt der Druck als erhöht. Doch bei Patienten mit EDS führen schon sehr viel geringere Drücke im Gehirn zu Symptomen und Schäden, wie Studien bereits bewiesen haben.
Bildgebung
Mit Hilfe eines Kopf-MRT werden zunächst Blutungen, Tumore, Thrombosen, ein Hydrocephalus usw.
ausgeschlossen. Einen erhöhten Hirndruck kann man, muss man aber nicht auf einem MRT-Bild
sehen. Hirndruckanzeichen sind z. B. eine exkavierte (durch den Hirndruck platt gedrückte)
Hypophyse, eine Empty Sella (leere Hypophyse; ESS), erweiterte Opticuskaliber, Liquor, der sich um die
Sehnerven herum angesammelt hat, Sinusvenenstenosen, selten auch erweiterte Ventrikel.

Für mehr Chancen braucht es mehr Aufklärung
Dass Hirndruck eine Komorbidität des Ehlers-Danlos-Syndroms ist, ist in einigen anderen Ländern
dieser Welt bereits bekannt. Deutschland hingegen zeigt Nachhilfebedarf, was leider dazu führt, dass
EDS-Patienten mit niedrigen gemessenen Drücken unterhalb der als pathologisch anerkannten 25 cm H2O oft nicht ernst genommen werden. Infolgedessen erhalten sie nicht die dringend nötigen Behandlungen, die verhindern, dass der übermäßige Hirndruck bleibende Schäden ( zum Beispiel an den Sehnerven) oder eine Chronifizierung ihres Beschwerdebildes verursacht. Und diese sind sehr
lebenseinschränkend. Aus diesem Grund ist die Aufklärung über die Komorbidität Hirndruck des Ehlers-Danlos-Syndroms von großer Tragweite.
Zusammenhang zu EDS
Wie genau erhöhter Hirndruck mit EDS zusammenhängt, wird noch erforscht. Es gibt aber bereits eine große schwedische Studie, die den Zusammenhang zwischen IIH und Hypermobilität belegt hat. Im Verdacht stehen u.a. Hormonstörungen als Ursache, entgleiste virologische Prozesse und eine instabile Halswirbelsäule.
Durch geschwächte Ligamente (Bänder der Halswirbelsäule) wird das Rückenmark positionsabhängig
nicht in der Mitte des Spinalkanals gehalten, drückt dieses ab und engt das Liquorpolster ein.
Gewissheit hierüber bringt unter anderem ein Upright-MRT.
Behandlung
Als Behandlung stehen folgende Möglichkeiten zur Verfügung:
- Medikamentöse Behandlung,
- regelmäßige Lumbalpunktionen,
- Gewichtsreduktion (falls indiziert) oder
- eine Shunt-Versorgung bei Medikationsversagen oder drohender Erblindung. Ein Shunt ist ein dünner Schlauch mit einem Ventil, der überschüssige Gehirnflüssigkeit aus dem Schädel ableitet – meist in die Bauchhöhle. Dort kann die Flüssigkeit vom Körper aufgenommen werden. Es handelt sich also um ein chirurgisch eingesetztes Ableitungssystem.

Doch die Verläufe, bei denen alles nach Plan läuft, sind leider eher selten. Viele IIH-Patienten sprechen
nicht auf Medikamente an oder leiden sehr unter den Nebenwirkungen. Andere leiden unter den
vielen Lumbalpunktionen oder gefährlichen Shunt-Komplikationen.
Besonderheiten beim Ehlers-Danlos-Syndrom und IIH
Bei einer signifikant hohen Anzahl EDS-PatientInnen konnte die leitliniengerechte medikamentöse
Therapie nicht erfolgreich angewendet werden. Grund hierfür ist fehlende Wirkung der
Medikamente, eine paradoxe Wirkung oder ein sehr hohes Nebenwirkungsprofil mit seltenen,
manchmal sogar noch unbeschriebenen Nebenwirkungen. Komorbiditäten vom Ehlers-Danlos-
Syndrom sind das Mastzellaktivierungssyndrom, diverse Allergien und Unverträglichkeiten,
Histaminintoleranz usw. Kurzum: das System eines Ehlers-Danlos-Patienten reagiert fast immer
anders als erwartet auf Einflüsse von außen. Auch lokale Anästhetika wirken oft nicht richtig,
Sedierungen, Narkosen, Schmerzmittel haben keine oder eine andere Wirkung und es dauert, bis
man weiß, welches Medikament geeignet ist und zuverlässig wirkt.
Man muss sich vor Augen führen: Das Bindegewebe findet sich beinahe überall im Körper: in der Haut, in Muskeln, Sehnen und Bändern, Blutgefäßen, Organen, dem Zahnfleisch, den Augen usw.
Die Symptome des Ehlers-Danlos-Syndroms werden also nicht durch einen Kollagenmangel
verursacht, sondern durch einen fehlerhaften Bauplan des Bindegewebes. Das ist wichtig zu
verstehen für den folgenden Blick auf die Besonderheiten, mit denen EDS-Betroffene es
zu tun haben, wenn bei ihnen IIH festgestellt wird. Oder wenn bei PatientInnen mit
Hirndruck der Verdacht auf das Ehlers-Danlos-Syndrom besteht.
Sinusvenenstenosen
Bei einer signifikant hohen Anzahl EDS-Patientinnen wurden auf den MRT-Bildern (Darstellung der
ableitenden Venenwege) Sinusvenenstenosen oder hypoplastische Sinusvenen beobachtet. Die
Forschung ist sich bis heute nicht einig darüber, ob die Stenosen der Sinusvenen die Ursache oder die
Folge des Hirndrucks ist. In einer Studie aus Amerika wird eine systemische Venenkompression beschrieben, die im Gehirn zu einer Abflussstörung wird. Denn auch in den Venenwänden ist der Kollagen-Bauplan mangelhaft. Die Therapieform, die NICHT-Ehlers-Danlos-PatientInnen vorgeschlagen wird, das sogenannte Stenting, wird oft aufgrund der Variabilität der Stenosen nicht empfohlen. Langzeitstudien hierzu, die z.B. klären, ob die Stents verrutschen, gibt es nicht.
Entstehung von Liquorlecks
Bei EDS-PatientInnen entstehen überproportional oft sogenannte Liquorlecks, „Löcher“, aus denen
Liquor austritt. Diese können postpunktionell auftreten, also nach einer Lumbalpunktion, weil sich
das Loch in der Dura nicht schnell genug schließt, oder auch spontan z.B. bei sportlicher Bestätigung,
oder durch einen Knochensporn an der Wirbelsäule oder nach Chirotherapie. Auch Lecks nach Covid-
Tests in der Nasenscheidewand wurden dokumentiert. Besteht zusätzlich Hirndruck, entsteht ein
schwer zu behandelnder Kreislauf aus Unterdruck (zu wenig Liquor, Gehirn liegt trocken, Patientin
kann fast nur noch liegen), Lecksuche, Leckverschluss (z.B. durch Blutpatches), dann wieder
Überdruck (Rebound-Effekt), wodurch das Leck wieder aufgeht.
OP- und Shunt-Komplikationen
Versagt die konventionelle Therapie und der Hirndruck kann nicht dauerhaft gesenkt werden, kann
ein neurochirurgisches Konsil erfolgen und eine Shunt-Indikation von einem Arzt gestellt werden.
Viele EDS-PatientInnen tolerieren diesen gut, besonders wenn er bereits in jungen Jahren implantiert
wurde und das Bindegewebe bereits im Wachstumsprozess Zeit hatte, sich an den Fremdkörper zu
gewöhnen. Komplikationen können sein:
- Bindegewebsformationen,
- Abstoßungsreaktionen,
- Narbenhernien,
- Wundheilungsstörungen,
- Verwachsungen im Bauchraum,
- Entzündungen,
- Meningitis,
- Shunt-Dysfunktionen usw.
Niedrigere Eröffnungsdrücke
Bei EDS-PatientInnen reichen bereits sehr viel niedrigere Eröffnungsdrücke (der Druck, der bei einer
Lumbalpunktion gemessen wird), um massive Symptome zu verursachen. In den USA gibt es eine
sehr aussagekräftige Studie dazu mit 86 Ehlers-Danlos-PatientInnen. Die Leitlinie bezeichnet
Hirndruck erst ab 25cmH20 als pathologisch.
| Lumbar Puncture | N = 83 |
| Mean (IQR) Opening Pressure (cm of water) | 18.5 (7) |
| <10 cm of water | 2 (2.4%) |
| 10-14 cm of water | 22 (26.5%) |
| 15-19 cm of water | 29 (34.9%) |
| 20-24 cm of water | 18 (21.7%) |
| 25 cm of water or higher | 12 (14.5%) |
Hier ist ersichtlich, im welchem Bereich die Eröffnungsdrücke bei Ehlers-Danlos-PatientInnen bereits
pathologisch waren, also einen Krankheitswert hatten.
IIH ist nicht zu unterschätzen
Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass die Intrakranielle Hypertension ein komplexes und
schwer zu behandelndes Krankheitsbild ist, welches nicht nur für die Sehnerven eine Bedrohung
darstellt und zur Erblindung führen kann, sondern durch das auch lebensbedrohliche Situationen
auftreten können.
von Friederike von Bredow
Ihr könnt ihr auch auf Instagram folgen.
Kleiner Hinweis: Ich habe Friederikes Text minimal verändert, um hier und da die Lesbarkeit zu verbessern.
https://www.ehlers-danlos-initiative.de/index.php/quick-krankheitsbild
https://neuro-eds.ch/.
https://youtu.be/GeVVGPSd6xg?si=xZlUXiW6TgCO8j69
https://www.frontiersin.org/journals/neurology/articles/10.3389/fneur.2020.00828/full
https://www.researchgate.net/publication/377692164_Characterizing_a_new_clinical_phenot
ype_the_co-existence_of_cerebral_venous_outflow_and_connective_tissue_disorders
https://www.uclahealth.org/medical-services/neurosurgery/conditions-treated/slit-ventricle-
syndrome
https://advancedfunctionalmedicine.com.au/mthfr-weight-loss/
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/phpp.12926
https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/03331024231161323
https://www.caringmedical.com/prolotherapy-news/cervical-spine-instability-pinches-arteries-
disrupts-impedes-retards-blood-flow-brain/
https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fneur.2020.00828
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2667321523000215
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28220607/
https://neuro-eds.ch/
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ajmg.c.31549
https://www.ehlers-danlos-initiative.de/index.php/home-mwb/literatur/992-
publikationen/schmerzen/5395-S07
https://www.healthrising.org/blog/2017/12/01/looking-glass-cerebral-spinal-fluid-leaks-ehlers-
danlos-syndrome-alternate-reality-
mecfs/?fbclid=IwAR3ZRJRjwl2V46wCKGp2B4tdCLXhkPOQvYgVMImWHUlgWXbEb8neaZ
WOfmM
https://www.ehlersdanlosaus.com/intracranial-hyper-
hypotension?fbclid=IwAR3MvooNdPcpnVgy6TvyEcJj4GIvmrjWsSecNEfLNOyI-
mu8HbmZ3N9XX6g
https://www.healthrising.org/blog/2023/06/01/intracranial-fluid-pressure-chronic-fatigue-
syndrome-fibromyalgia-long-covid/
https://www.rheumaliga.ch/rheuma-von-a-z/ehlers-danlos-syndrome
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