In letzter Zeit erreichen mich viele Fragen zu einem Problem, das mich selbst nach Jahren noch rätseln lässt: Schwindel.


Ärgernis

Glaubt nicht, hier sei jene Form gemeint, die auftritt, sobald der Körper einem zu verstehen geben möchte, dass er trinken, essen, schlafen oder ähnliche Missstände beseitigt haben will – insbesondere Missstände, die mir keinerlei Überlegung abverlangen dürften. Nein, diese Art Schwindel ist das wohl hartnäckigste Ärgernis, das mir je begegnet ist. Doch eines möchte ich – insbesondere wegen des Titels – vorausschicken: Es war offensichtlich nicht in böser Absicht gekommen. 😉

Für alle, die ihre Suche nach einer dauerhaften Lösung quer durch hunderte Foren und letztendlich hierher geführt hat, soll dieser Eintrag zum einen die Gewissheit sein, dass sie damit nicht allein sind. Es gibt Unzählige, und alle fühlen sich früher oder später missverstanden, abgewiesen oder glauben allmählich, besser in einer psychiatrischen Einrichtung aufgehoben zu sein, wo jede einzelne nicht ganz festsitzende Schraube in Augenschein genommen wird. Zum anderen ist das, was ihr gleich lesen werdet, gedacht als kleine Kopfwäsche. Ich hoffe sehr, dass sie ihren Zweck erfüllt. 

Bevor ich jedoch wage, aus dem Nähkästchen zu plaudern, bestehe ich zu allererst darauf, eure Erwartungen etwas zu bändigen. Ich bin keine Ärztin. Schon gar nicht zähle ich mich zu den Leuten, die behaupten, ein alles in den Schatten stellendes Heilmittel gefunden zu haben. Alles, was ich hier schreibe, beruht auf meinen eigenen Beobachtungen, Erfahrungen und Schlussfolgerungen. Aus diesem Grund rate ich euch, beim Lesen einen gewissen Sicherheitsabstand einzuhalten. Zweifelt ruhig und denkt darüber nach. Nicht umsonst gehört Schwindel zu einem der vielförmigsten und undurchdringlichsten Symptome, hinter dem sich ein Rattenschwanz möglicher Ursachen verbirgt. Begonnen bei Schnupfen, bis hin zu Herzkrankheiten, oder Hirntumore, andere Tumore, Allergien, Augenkrankheiten, Beinlängendifferenzen, falsche Atmung (doch, doch, so etwas gibt es), Schwermetallvergiftung, Nervenentzündungen, Ohrenkrankheiten, Muskelverhärtungen, Angst, Steuererklärung… – ihr seht, letztendlich kann so gut wie alles Schwindel auslösen. Doch wenn die Ursache sich partout nicht finden lassen will, wird es knifflig.

Kein Spinnennest im Ohr

Mein Schwindel begann im Sommer 2012. Ich stand in einer Buchhandlung vor einem großen Regal und wollte einen Blick auf die Klassiker in der oberen Reihe erhaschen, als mich dieses garstige Ungeheuer aus heiterem Himmel überrumpelte. Als hätte es den geheimen roten Zerstörungsknopf unter meiner Schädeldecke gefunden, den es blitzschnell drückte, ohne dass ich etwas hätte ausrichten können, veränderte sich mein Leben innerhalb eines Wimpernschlags. Alles um mich herum fuhr plötzlich Karussell und ich hatte das Gefühl, in einer grauenvollen Endlosschleife festzustecken. „Die Hitze?“, rätselte ich, krallte mich um den Arm meines Mannes und ließ mich wie einen erlegten Bock nach Hause schleifen. Verschwitzt dort angekommen versank ich zwischen den Kissen meines Bettes, dazu verdammt, den Sturm in meinem Kopf auszusitzen, solange er andauern würde – mit Erfolg. Das Drehen verschwand! Doch unglücklicherweise trat etwas anderes in Erscheinung:

Schwanken. Benommenheit. Das Gefühl, ununterbrochen durch die Glaswand eines Aquariums zu starren. Sobald ich meine Blickrichtung änderte, war es, als ob mein Gehirn Mühe hatte, zu folgen. Unwohlsein. Müdigkeit. Angst. Alles zusammen!

So sah der Himmel aus, als alles begann. (Foto: Skitterphoto – Pexels.com)

Am nächsten Tag besuchte ich meinen Arzt. Er bemühte einige Tests, stellte fest, dass ich keinen Schlaganfall erlitten hatte, verschrieb mir Tabletten und schickte mich zurück unter meine Bettdecke. Tage später, in denen keinerlei Besserung eingetreten war, kratze ich erneut an der Praxistür und wurde prompt in Richtung Uniklinik umgelenkt. Nachdem zwei Neurologen mich von Kopf bis Fuß mit Hämmern malträtiert hatten und ebenfalls zu dem beruhigenden Ergebnis gekommen waren, dass ich keinen Schlaganfall erlitten haben konnte, füllten sie das breite Diagnosefeld zwischen Bergen kleingedruckter Unterlagen mit irgendwas in Richtung „psychogen“ und verabschiedeten mich mit den Worten „Sie haben Stress. Entspannen Sie sich.“ 

„Nun, wenn die Ärzte sagen, ich habe Stress, muss es wohl so sein…“, konnte ich noch scherzen und nahm für ein bisschen Ruhe vorerst Abstand von meiner Ursachensuche. Doch diese Ruhe machte mich wahnsinnig. So viel unbestimmte Zeit hatte ich schließlich nicht; ich steckte mitten in meiner Ausbildung! Und was, wenn nicht Stress mein Problem war, sondern etwas, das so früh wie möglich bekämpft oder aus mir herausgeschnitten werden musste?

Eines habe ich gelernt: Wenn Ärzte nicht wissen, was sie tun sollen, diagnostizieren sie Stress. (Foto: Pedro Figueras – Pexels.com)

Ihr seht, ich war etwas in Sorge. Und mit der Zeit wurde daraus Verzweiflung. Kein Arzt konnte etwas entdecken, so sehr ich es mir auch wünschte. Ein Fleck im MRT, eine Auffälligkeit im Blut, ein Spinnennest im Ohr – irgendeine Form von Gewissheit musste es doch für mich geben!

KNACK – Schwindel verschwunden

Die Ärzte waren ratlos. Und deshalb gab es für mich auch keine Behandlung. Aus diesem Grund verordnete ich mir einfach selbst eine Therapie, und zwar mit „Heißen Rollen“ – die ich als damalige Ergotherapie-Schülerin wirklich bildhübsch zu wickeln und mindestens genauso schwungvoll anzuwenden wusste. So geheimnisvoll und privilegiert euch diese Technik vielleicht vorkommen mag, eine „Heiße Rolle“ ist nichts anderes als ein straff zu einer Wurst gerolltes Handtuch, das mit kochendem Wasser getränkt ist und mittels kurzer Tupfer entlang eines Muskels appliziert wird. „Stress spannt Muskeln an“, war damals mein Gedanke, mit dem ich an der Diagnose der Neurologen anknüpfte. „Also muss ich meine Muskeln lockern.“ Die Frage war nur, welche. „Die um die Halswirbelsäule!“, entschied ich optimistisch und tupfte täglich mit meiner Heißen Rolle großflächig meinen Schulter- und Halsbereich ab. „Das alles liegt schließlich in nächster Nähe zum Kopf und dort schwindelts schließlich“, war mein nobelpreistauglicher Gedankengang.

Meine zündende Idee: Die Halswirbelsäule ist schuld an meiner Misere. (Foto: Karolina Grabowska – Pexels.com)

Und irgendwann machte es dann KNACK! Irgendwo im Hals – wo, war mir egal. Denn von diesem Moment an reduzierte sich das Schwanken von Tag zu Tag. Bis es verschwunden war. Und zwar für zwei ganze Jahre (in denen ich unter anderem eine beschwerdefreie Schwangerschaft genoss)!

Er kam zurück

Nach meinen Abschlussprüfungen, für die ich aus bestimmten Gründen nur zwei Wochen Vorbereitungszeit hatte (soll bedeuten: Ja, ich hatte Stress!), begann das Desaster von Neuem. Doch diesmal konnten meine Heißen Rollen nichts ausrichten, ebensowenig Besuche bei verschiedenen Osteopathen und Co. Also wandte ich mich an meine aktuelle Hausärztin, die profunde Kenntnisse in Alternativer Medizin vorzuweisen hat, und unterzog mich blind einer Neuraltherapie, mehreren Dorntherapien und ließ mir hochdosiert Vitamin B12 verabreichen. Es half! Zumindest einige Wochen. Bis der Schwindel, dem es nunmehr zu gefallen schien, sich immer öfter mit plötzlichen Karussellfahrten anzukündigen, schließlich so fest zugepackt hatte, dass mir keine Möglichkeit mehr blieb, ihm zu entwischen. Doch das war nicht das Schlimmste.

Missempfindungen in der gesamten linken Körperhälfte, Panik, Herzrasen, sobald ich mich setzte oder eine liegende Position einnahm, hoher Blutdruck, der mich aus dem Nichts überfiel, Schweißausbrüche, Todesangst – ich war vollkommen am Ende.

Atlaskorrektur

Genau wie ihr wühlte ich tief im Internet nach Lösungsansätzen, nach raffinierten Erklärungen, nach Therapiemöglichkeiten und vielversprechenden Berichten geheilter Leute – und stieß auf Atlantotec, eine unter vielen Innovationen aus dem großen Dschungel der therapeutischen Vielfalt. Dort hieß es: Ein nicht korrekt in Position sitzender Atlas (damit ist der erste Halswirbel gemeint) sei womöglich schuld an dem ganzen Übel. Es bräuchte nichts weiter als eine einmalige und schonende Korrektur und allenfalls noch ein Fünkchen mehr Geduld – und schon ist alles weg. „Schlimmer kann es ja nicht werden“, dachte ich blauäugig und vereinbarte einen Termin.

Und wisst ihr, ich kann im Grunde nicht schimpfen. Zwei sehr freundliche Atlastechniker nahmen sich viel Zeit, mir den Zusammenhang zwischen Atlasfehlstellung und meinen Symptomen zu erklären (darauf verzichte ich an dieser Stelle). Selbstverständlich wurde genau geprüft, ob solch eine überhaupt vorlag. Und tatsächlich: Mein Atlas saß nicht dort, wo er hingehörte. Was allerdings enorm und dramatisch klingt, war in Wirklichkeit nur eine kleine Abweichung, eine, die manch einer, ohne jemals Kenntnis davon zu erlangen, sogar bis in den Sarg herumträgt. Klar, schließlich ist kein Körper perfekt symmetrisch. Aber warum eigentlich? Ist Symmetrie etwa nicht das Optimum? Hmm…

Nun, wie lief das Ganze ab? Ich musste mich im BH vor eine Wand stellen, an der in bestimmten Abständen dicke, von links nach rechts verlaufende Linien angezeichnet waren. Einer der Therapeuten wies mich an, dicht davor verschiedene Positionen einzunehmen, die fotografiert wurden, sodass man nachher einen Vergleich parat hatte. Anschließend durfte ich mich mit dem Kopf nach unten auf einer Liege niederlassen (für das Gesicht gab es eine kleine Aussparung) und einer der Männer begann, mit einem vibrierenden Stab meine gesamte Rückenmuskulatur, beginnend vom Po bis zum Hinterkopf, zu lockern. Das dauerte eine ganze Weile. Als er damit fertig war, fühlte ich mich wie Pudding – instabil, schwach. Aber so sollte es sein. Denn im Grunde musste ich vollständig resettet werden. Sämtliche Muskeln, die vor einer halben Stunde noch wie verrückt angespannt waren, mit unbeirrbarer Absicht, meine Gelenke zusammenzuhalten, erfuhren zum ersten Mal seit einer Ewigkeit, was Entspannung bedeutet. Die Korrektur konnte beginnen. Und zwar mit einem Ding, das ich noch heute als Mini-Presslufthammer bezeichnen würde. Dort, wo mein Atlas ein Stück zu weit aus seiner Position ragte, wurde dieses Ding angesetzt, angeschaltet und mit Kraft in die entgegengesetzte Richtung gedrückt. In diesem Moment musste ich einsehen, dass der zahllos belobte, schonende Teil ganz offensichtlich vorbei war. Mehr noch: Es tat fürchterlich weh. Und als es getan war, fühlte ich mich wirklich beschissen. Nichtsdestotrotz, es ging wieder an die gestreifte Fotowand. Der Therapeut schoss wie zu Beginn einige Bilder und nachdem ich wieder eingekleidet war, zeigte er mir die durch die Linien sichtbar gewordenen Unterschiede meiner Körperhaltung. Unterschiede, die ich zwar nicht erkennen konnte, doch das spielte für den Augenblick keine Rolle. Ich wollte nur noch nach Hause.

Die Zeit danach

Das Danach war die Hölle. Mein Körper, bald wieder ganz der Alte, rebellierte!

Bluthochdruck, den ich bis unter die Ohren spürte, Schwindel, Herzrasen, Wahrnehmungsstörungen, panische Angst!

Der Spuk dauerte drei Tage. Drei Tage, in denen meine einzige Möglichkeit, das Durcheinander in mir in Schach zu halten, darin bestand, meinen Kopf möglichst nicht zur Ruhe kommen zu lassen – etwa so als versuchte man, ein heißes Ei in seiner Hand zu balancieren, da es keine Möglichkeit gibt, es einfach abzulegen.

Wehe dem, dem an dieser Stelle der Begriff „Erstverschlimmerung“ in den Sinn kommt. Das ist Etikettenschwindel per excellence, zumindest wenn man das Pech hat, sich einer vollkommen kontraindizierten Behandlung unterzogen zu haben. Der Leitsatz dazu könnte lauten: Eine Erstverschlimmerung, die keine Besserung nach sich zieht, ist einfach nur eine Verschlimmerung.

Ich hatte mehr oder weniger Glück. Mein Atlas nahm schon kurze Zeit später wieder seine Ausgangsposition ein und die Symptomatik beruhigte sich. Bis vorerst nur noch eines blieb: der Schwankschwindel.

Meine Lösung

Mein Weg aus dem Chaos hatte und hat noch immer etwas mit Einsicht zu tun. Ich begann eine Psychotherapie. Nicht, weil ich glaubte, mein Leiden sei Ausdruck eines verborgenen Konflikts oder das Ergebnis mangelnder Stressbewältigung (jedenfalls nicht im Sinne meiner Neurologen). Ich glaubte auch nicht, von einer Angsterkrankung ergriffen worden zu sein oder einem anderen „Defekt“, der den Schwindel womöglich nur als Spross einer psychischen Wurzel abstempelt – zumindest noch nicht. Nein, ich suchte eher nach einer Art Stütze, nach jemandem, der aus einer gewissen Distanz heraus ein Auge auf mich wirft, während ich beginne, mir einige Fragen zu stellen. Fragen, die vielleicht beantworten, was all das zu bedeuten hat – insbesondere was es mit mir zu tun hat und was genau ich dafür kann. Da kam einiges zusammen.

Ich begann eine Psychotherapie. Immerhin wurde ich dort ernstgenommen. (Foto: Cottonbro – Pexels.com)

Als erstes musste ich mir eingestehen, dass ich ein ziemlich bequemer Mensch war. Was immer diesen Schwindel verursachte, am schlimmsten war es mir ergangen, als ich versucht hatte, die Lösung bei jemand anderes zu suchen. Bei jemandem, der versprach, nur einen Knopf (in diesem Fall meinen Atlas) drücken zu müssen und Heilung würde eintreten. Ziemlich einfältig. Über die Antworten, die mein Körper mir unmissverständlich erteilte, brauchte ich mich also wirklich nicht zu wundern: Panik, Herzrasen, Chaos – ich war ganz offensichtlich auf dem Holzweg! ICH musste handeln, niemand sonst. Also schürfte ich tiefer. Und schürfte. Und schürfte – und stieß endlich auf einen Zusammenhang. Leider keinen erfreulichen, doch dazu später mehr.

Meine Helfer

Gut, ich hatte nun also Ursachen gefunden. Oder zumindest Faktoren, die wie Zündstoff meinen Schwindel anstachelten. Doch genaugenommen war das Wissen darum nur ein halber Fortschritt. Wichtig war, dass ich bereit war, etwas zu verändern.

Was die seelischen Wurzeln meines Leidens betraf und mein mittlerweile zu einem Nichts geschrumpfte Stressresistenz: Dafür hatte ich meinen Psychologen. Doch auch mein Körper brauchte unbedingt Hilfe. Ich suchte mir deshalb erneut einen Therapeuten. Jedoch nicht wieder einen, dem ich die Verantwortung für mich selbst wie eine unliebsame Aufgabe unterjubeln konnte. Ich suchte nach jemandem, der mir ganz im ursprünglichen Sinne des Wortes „Therapeut“ (Klugscheißermodus an: Aus dem Griechischen für Gefährte) hilft, mich selbst gesund zu machen, mochte es auch bedeuten, dass der Weg dorthin beschwerlich und lang sein würde. Ihr wollt sicher wissen, wen ich mir ausgesucht habe.

Genaugenommen sind es sogar drei. Drei in England ausgebildete Spezialisten, die fünf Jahre nichts anderes als den menschlichen Bewegungsapparat und dessen Funktionsweisen studiert haben und die deshalb fähig sind, Zusammenspiele zwischen den entlegensten Strukturen wie mit einer Röntgenbrille zu erkennen und für die Behandlung unterschiedlichster Beschwerdebilder zu nutzen. Sie heißen Chiropraktoren – die aber um Himmels Willen nicht mit Chiropraktikern (die sich blöderweise aber ebenfalls Chiropraktoren nennen dürfen) verwechselt werden möchten. Chiropraktoren werden in Deutschland leider nicht ausgebildet, den Beruf des Chiropraktikers hingegen kann man in relativ kurzer Zeit und unter gewissen Voraussetzungen auch hierzulande erlernen. Selbstverständlich gibt es noch weitere Unterschiede, doch an dieser Stelle möchte ich mich mit Vergleichen ein wenig zurückhalten. Es liegt mir wirklich fern, bestimmte Berufsgruppen entsprechend irgendeines Merkmals zu den Guten oder Schlechten zu sortieren. Meine persönliche Erfahrung mit drei dieser Chiropraktoren soll für den Moment das einzig Ausschlaggebende sein.

Weg mit den Klischees

Zu Beginn hatte ich Hemmungen, mich den Händen eines Chiropraktors zu überlassen. Denn in meinem Kopf geisterten allerhand Gruselvorstellungen und das Bild eines vom Einrenken und lauten Knackgeräuschen besessenen Wahnsinnigen, der mir auf kurz oder lang einen waschechten Schlaganfall bescheren würde. Etliche Warnungen, die im Internet kursieren, erschreckten mich zusätzlich. Trotzdem, verzweifelt und vor allem neugierig wie ich war, vereinbarte ich einen Termin. Ich würde mir nichts aufzwingen lassen, beschloss ich felsenfest, und behielt die Möglichkeit im Auge, dass sich diejenigen, die lauthals vor chiropraktischen Methoden warnen, schlichtweg völlig täuschen.

Der erste Termin dauerte etwa eine dreiviertel Stunde, wenn ich ich mich richtig erinnere. Der Chiropraktor hörte sich aufmerksam an, was genau mich plagte und bat mich anschließend, einfache Bewegungsabfolgen, die er mir zeigte, nachzumachen. Um nicht zu lügen: Unkoordinierter hätten meine Bemühungen selbst dann nicht aussehen können, wäre mir zuvor, auf dem Weg in die Praxis, ein Backstein auf den Kopf gefallen.

„Komisch, was ich alles machen muss“, wunderte ich mich während des Auf- und Ablaufens, einiger Einbeinstandversuche und vielen anderen Kunststücken, die mich regelrecht ins Schwitzen brachten. Nicht, weil sie unheimlich schweißtreibend waren. Sondern, weil es mir sagenhaft peinlich war, wie blöd ich mich dabei anstellte. Als sich mein Termin dem Ende näherte, prüfte der Chiropraktor jedes meiner Gelenke hinsichtlich guter oder nicht ganz so guter Beweglichkeit. „Gut und schlecht, das sind relative Begriffe“, erklärte er konzentriert und notierte, was ihm aufgefallen war, in seinen Laptop.

Zwei oder drei Tage später erschien ich erneut, diesmal jedoch, um zu erfahren, wo genau es bei mir hapert, wie die Behandlung aussehen könnte und was ich tun könnte, um Besserung zu erfahren. Der Chiropraktor zog ein Blatt Papier hervor, auf dem schematisch ein Mensch abgebildet war. In diesem Schema markierte er mit Rot die Stellen, die Anteil an meinem Schwindelproblem haben könnten und definitiv nicht meinem(!) Optimum entsprachen. Dazu gab es einen detaillierten Behandlungsplan und bereits einige Hausaufgaben. Was genau diese beinhalteten, werde ich hier nicht erläutern, denn meine Baustellen sind schließlich nicht die euren. Was ich euch stattdessen empfehle: Traut euch und besucht wie ich einen Chiropraktor. Solltet ihr zweifeln oder Angst haben, lest gern die sonnigen Antworten auf drei große Klischees, mit denen ich meine Therapeuten im Laufe der Zeit konfrontiert habe:

1. „Wie ist das mit dem Einrenken an der Wirbelsäule? Das tut sicher weh.“

„Ein Chiropraktor renkt nicht ein. Wenn überhaupt, wird justiert“, wird er euch erklären. „Wäre einer Ihrer Wirbel ausgerenkt, wären Sie nicht hier, sondern bräuchten einen Neurochirurgen. Wir Chiropraktoren geben gezielte Impulse, damit Ihre Muskeln besser lockerlassen können und Ihre Gelenke zur optimalen Beweglichkeit zurückfinden.“

Und ich kann euch versichern: Justieren tut nicht weh.

2. „Aber Justieren ist doch trotzdem gefährlich. Dabei leiert alles aus und die umliegenden Gefäße können reißen, habe ich gehört.“

„Wenn Sie zum Friseur gehen und beim Haarewaschen den Kopf überstrecken, ist die Gefahr, dass irgendetwas reißt, höher, als durch den gezielten Impuls eines Chiropraktors. In Fällen, in denen so etwas tatsächlich geschehen ist, bestand zuvor bereits eine Schädigung des betroffenen Gefäßes und es wäre auch ohne unser Zutun passiert. Was das Ausleiern betrifft: Ihre Finger leiern auch nicht aus, würden Sie sie ein Leben lang täglich knacken lassen.“

3. „Chiropraktoren behandeln Patienten so, dass sie immer wiederkommen müssen.“

„Ein Chiropraktor könnte nicht unzufriedener sein, wenn seine Behandlung keinerlei Besserung bewirkt. Am liebsten ist es uns, wenn wir schnell Erfolge erzielen und Patienten durch uns lernen, sich selbst zu helfen.“

Nichts hilft, wenn man nichts tut

Die Behandlung der Chiropraktoren (die verglichen mit anderen in der Tat sehr schonend ist) hat mir deutlich gezeigt, wie wichtig es ist, selbst aktiv zu werden. Jahrelange Fehlhaltungen, Muskelverhärtungen, ob durch Stress oder perfektionierte Gewohnheiten, können nicht mittels Knopfdruck beseitigt werden. Nun gut, womöglich können sie das sogar. Doch ich persönlich stelle mir das vor wie bei einem wackeligen Turm, den man notgedrungen seiner Spitze beraubt. Der Turm wirkt dadurch stabiler, denn er wackelt bei Wind etwas weniger. Doch was geschieht bei einem Unwetter? Beginne ich allerdings, vorsichtig am Fundament zu arbeiten, indem ich es sorgsam stärke, kann mir die Turmspitze nicht mehr gefährlich werden. Denn ihre Stabilität richtet sich danach, worauf sie gebaut wurde. Zweifelsohne, aus statischer Sicht ist dieses Unterfangen sehr aufwändig. Besser wäre es, von Anfang an eine gute Substanz zu haben, auf der man aufbauen kann. Doch was bleibt einem übrig? Andererseits: Ich bin mit meiner Lösungssuche ja noch nicht am Ende.

Bewegt euch!

Aber jetzt versteht mich bloß nicht falsch. Erbarmungsloser Muskelaufbau ist nicht das, was ich als Fazit für mich aufgestellt habe. Doch ihr wiederum müsst es nicht ausklammern. Denn vielleicht hilft es dem einen oder anderen, zweimal pro Woche ein Fitnessstudio zu besuchen und an bestimmten Geräten zu trainieren. Vielleicht hilft euch Radsport, vielleicht Hanteltraining oder 50 Liegestütze pro Tag. Vielleicht hilft euch Meditation oder der regelmäßige Besuch bei einem Chiropraktor, einem Chiropraktiker, einem Geistheiler, einem Personal Trainer oder einem Schamanen. Solange ihr spürt, dass es euch guttut, ist es (wahrscheinlich) richtig. Oder aber ihr geratet auf einen Irrweg.

Ich glaube, allmählich komme ich zum Kern der Sache. Es gibt nämlich einen Bug: Behandlungen, die sich erstmal gut und vielversprechend anfühlen, lassen nur schlecht erahnen, wenn sie einem in Wirklichkeit schaden.

Wenn alle Beschwerden, die ich habe, durch die Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe ausgelöst werden – Therapiemanöver, die meinen absurd hohen Muskeltonus senken und den Schwindel vertreiben sollen – muss meine nächste Überlegung lauten: Verspannungen und Blockaden, überall sind sie die Feinde der Physiotherapeuten, Osteopathen, Chiropraktoren und Ärzte. Ist es wirklich undenkbar, dass unser Körper manch schlimme Dinge initiiert, um uns vor Schlimmerem zu bewahren? Wie können wir uns da nur erdreisten, diese Bemühungen über den Haufen zu werfen?

Bewegung

Wenn ich nur früher auf diesen Gedanken gekommen wäre. Aber ich lasse den Kopf nicht hängen. Der beste Tipp, an den ich oft denke, stammt nichtsdestotrotz von einem meiner Chiropraktoren: „Einfach Bewegung.“ Ja, bewegt euch! Unwichtig, wie, solange ihr es nur tut. Doch bitte nicht nur körperlich, sondern um Himmels Willen auch geistig! Missversteht den Schwindel oder was immer euch gerade plagt nicht als etwas, das euch sagt, ihr sollt stagnieren oder auf Teufel komm raus dagegen Krieg führen. Tut etwas! Und dazu braucht ihr nicht einmal einen Mitgliedsausweis, der euch an die hohen monatlichen Beiträge erinnert, die ihr zahlt, um jeden Mittwoch aktiv sein zu müssen. Denn was würde das schon bewirken – von noch mehr Stress und Anspannung einmal abgesehen. Mir persönlich reicht ein unebener Waldweg, ein mit Steinen gefüllter See oder Bach, Bäume, die ich (wenn ich nicht gerade schwanger bin 🙂 ) mit unserer Tochter beklettere oder Möbel und Decken, die zu einem winkelreichen Höhlengeflecht werden, durch das ich mich wie eine Schlange hindurchschieben muss. Mir reicht es, dem Kind in mir zu erlauben, da zu sein und sich auszuprobieren. Und noch etwas: Luft! Ja, Luft. Klingt womöglich banal, aber ich meine Luft, die ich nicht einfach nur konsumiere wie Fastfood. Sondern Luft, die ich genieße. Tiefes Atmen ist nämlich in der Tat etwas, das viele Menschen verlernt haben. Sie denken ununterbrochen an ihre zahllosen Erkrankungen und natürlich, insbesondere wenn es sich um Schwindel handelt, ist es beinahe unmöglich, dies nicht zu tun. Doch wie würden sie staunen, legten sie ihren Fokus für nur zehn Minuten einzig und allein auf ihre Atmung. Die auf Stress und Anspannung programmierte Körperchemie könnte sich, wenn auch nur für einen Moment, neu ausrichten. Und das reicht bereits, um einen Heilungsprozess zu initiieren.

Wo sitzt denn nun der Schwindel?

Klingt doch alles ganz gut, nicht? Gut und simpel. Aber irgendwie auch nichtssagend. Denn wir wissen noch immer nicht, welches scheinbar stressanfällige Teil in uns diesen Schwindel auslöst. Tja wisst ihr, ich würde sagen, das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Der arme Atlas als Sündenbock ist zur Zeit zwar ganz groß in Mode, was dieses und andere Themen betrifft, doch die Fixierung ALLEIN darauf erscheint mir nicht zielführend.

Ich denke: Die frustrierende und zugleich geniale Wahrheit lautet, dass es (oft) eigentlich keine Rolle spielt, woher irgendwelche Wehwehchen kommen. Entscheidend ist doch eher: Solange keine Veränderung passiert, wird alles so bleiben wie es ist.

Ich weiß, ich habe versprochen, euch die Ursache meines Schwindels zu verraten. Das halte ich selbstverständlich auch ein, doch ihr müsst wissen, dass es bislang nur eine Vermutung ist. Um es zu präzisieren: Ich denke, ich habe einen Sechser im Lotto der seltenen und unsichtbaren Erkrankungen geschossen. Ich befürchte, ich habe CCI, also eine kraniozervikale Instabilität – schlimmstenfalls ausgelöst durch das Ehlers-Danlos-Syndrom. Klingt ziemlich weit hergeholt, was? Eben deshalb bin ich guter Dinge und glaube nicht wirklich, dass es so dramatisch ist. Selbst wenn, wisst ihr, was ich glaube? Ich glaube, ich kann diese Erkrankung beherrschen. Denn wie jede andere Erkrankung ist auch diese nicht nur rein körperlich. Und genau dieses Wissen ist mein Trumpf. Warum? Kurz und bündig ausgedrückt: Der Körper wirkt auf die Seele. Das merken wir zum Beispiel, wenn wir krank sind und deshalb traurig. Doch andersrum wirkt auch die Seele auf den Körper. Wenn wir hoffnungsvoll sind, heilen wir. Also bin ich, schon allein deshalb, weil es aus diesem Blickwinkel viel vernünftiger ist, hoffnungsvoll.

Ein gutes Ende

Obwohl vieles hoffentlich einleuchtend klingt, erfordert es umzudenken und, zugegeben, auch ein bisschen Geduld. Wir sind es gewohnt, Probleme unverzüglich lösen zu müssen und erwarten dies auch von Menschen, darunter Ärzte und Therapeuten, an die wir uns wenden, damit es umso schneller geht.

Irritierend wird es für uns, sobald wir Geduld zeigen, doch nach zwei oder drei Wochen körperlicher und geistiger Neuorientierung noch immer keine deutliche Besserung eintritt. Besserung, liebe Leser, habe ich erst nach etwa einem halben Jahr verspürt – zumindest was den Schwindel betrifft, denn darum geht es ja hier. Und immer wieder gab es Rückschritte, kleine, aber deftige. Doch nun, nach mehr als anderthalb Jahren, habe ich zum ersten Mal das Gefühl, ein Stückchen Kontrolle – über den Schwindel! – zurückgewonnen zu haben. Und das zum einen durch meinen Verzicht darauf, zum anderen durch die Erkenntnis, dass der Schwindel, der mich plagte und es manchmal immer noch tut, nichts weiter ist, als der Versuch, eine Änderung herbeizuführen. Nun habe ich es – zumindest theoretisch – verstanden. Mein Körper müsste nicht länger rebellieren. Er könnte darauf vertrauen, dass ich nur noch tue, was gut für mich ist. Doch Vertrauen muss man sich bekanntlich hart zurückerarbeiten. Und in meinem Fall ist Schwindel nur eine Baustelle von vielen weitaus größeren. Doch Aufgeben kommt nicht in Frage. Stattdessen werde ich fortan alles daran setzen, mich nach meinen Wünschen und Neigungen zu entfalten. Dass ich das kann, weiß ich nun. Denn ich bin stark genug, trotz eines kunterbunten Symptomregenbogens mein Leben zu leben. Schon komisch, oder? Dieses Selbstvertrauen habe ich ausgerechnet meinem Schwindel zu verdanken. Stellt sich nur noch die Frage, ob er wirklich zum Krankheitsbild CCI gehört. Bis ich das wirklich weiß, benutze ich übergangsweise einfach die Selbstdiagnose „Halswirbelsauerei“. Ich finde, das bringt es gut rüber.


(Foto: InstaWalli – Pexels)