Es soll sie ja noch immer geben, Leute, die sich vehement sträuben, bei körperlichen Beschwerden ihre Psyche ins Visier zu nehmen. Allmählich bleibt ihnen jedoch keine Wahl mehr. Denn eine Studie der Universität Michigan offenbarte jüngst, wie traumatische Erlebnisse in der Kindheit später im Leben die Muskelfunktion beeinträchtigen können.


Stress macht krank

„Wie die Saat, so die Ernte“, heißt ein bekanntes Sprichwort, dessen Botschaft wir in vielfältigen Lebensbereichen wiederentdecken können. Wie die Stressforschung seit Jahren zeigt, zählt dazu auch die Gesundheit: Stressvolle Ereignisse, die früh im Lebensverlauf erfahren werden, stehen mit schlechterer Gesundheit im Erwachsenenalter in Verbindung. Allerdings sind die dahinterstehenden Prozesse noch weitgehend unbekannt.
Neuerdings blicken Wissenschaftler auf die Mitochondrien, unsere kleinen Zellkraftwerke, die den Organismus mit Energie in Form von Adenosintriphosphat (ATP) versorgen. Genau diese bedeutsame Funktion wird als möglicher Mechanismus in Betracht gezogen, mit dem sich erklären lässt, wie stressvolle Lebensereignisse der Vergangenheit unsere zukünftige Gesundheit beeinflussen.

Misshandlungen, Missbrauch und Vernachlässigung sind im Blut sichtbar

Bereits im Jahr 2016 zeigte eine Studie von Boeck und anderen, dass Frauen, die in ihrer Kindheit Misshandlungen, Missbrauch oder Vernachlässigung erlebt haben, auch Jahre später noch erhöhte Entzündungswerte im Blut aufweisen. Forscher der Universität Ulm fanden heraus, dass veränderte Prozesse in den Mitochondrien sowie oxidativer Stress zu diesen anhaltenden Entzündungen beitragen könnten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass frühkindlicher Stress die Funktion der Mitochondrien beeinflusst, was langfristige gesundheitliche Auswirkungen nach sich ziehen kann. Die Studie betont die Bedeutung von Schutzfaktoren wie körperliche Aktivität und soziale Unterstützung, die potenziell vor den negativen Auswirkungen von belastenden Kindheitserfahrungen schützen können.

Besonders spannend für uns Wackelhälse: In einer jungen Studie von Duchowny und Kollegen (2024) wurde die Hypothese untersucht, dass Personen, die in ihrer Kindheit mehr negative Ereignisse erlebt haben, im Alter wahrscheinlich eine schlechtere Mitochondrienfunktion in ihren Muskeln zeigen, was bedeutet, dass ihre Muskeln weniger effizient arbeiten.

Schlimme Kindheit, schlechte Energiebilanz

Die Forscher analysierten Muskelbiopsien und Umfragedaten von 879 Teilnehmern über 70 Jahren, die im Rahmen der Studie über Muskel, Mobilität und Alterung (SOMMA; Cummings et al., 2021) gesammelt wurden. Die Teilnehmer hatten Muskel- und Fettproben gespendet und wurden zusätzlich mit einer Reihe von Fragebögen sowie physischen und kognitiven Tests bewertet.

Die Ergebnisse zeigen, dass Personen, die größere Widrigkeiten in der Kindheit erlebt hatten und von einem oder mehreren negativen Ereignissen berichteten, im späteren Leben einen schlechteren Muskelstoffwechsel aufwiesen. Etwa 45% der Teilnehmer gaben an, mindestens ein negatives Kindheitserlebnis gehabt zu haben. Diese Gruppe zeigte eine geringere Produktion von ATP in den Muskelzellen. Es zeigte sich, dass die langfristigen Auswirkungen von Kindheitstraumata auch nach Kontrolle anderer Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, Bildungsniveau, elterliche Bildung, Body-Mass-Index, depressive Symptome, Raucherstatus und körperliche Aktivität bedeutsam bleiben.

Viel Stress in der Kindheit hinterlässt Spuren in unseren erwachsenen Zellen. (Bild: wirbelwirrwarr)

Körper und Psyche hängen zusammen

Ich werde vermutlich niemals müde, euch ans Herz zu legen, dass die Frage „Ist es körperlich oder psychisch?“ zu kurz greift. Auch wenn ich weiß, dass viele Wackelhälse es leid sind, in „die Psychokiste“ verfrachtet zu werden, ändert das nichts an der Wirklichkeit: Es ist immer beides und es ist immer ein komplexes Zusammenspiel, bei dem man nie wirklich sicher sein kann, welche Stellschraube welche Konsequenz nach sich zieht. Ich meine: War euch klar, dass vergangene schlimme Kindheitserlebnisse eure Muskelfunktion beeinflussen können? Und was glaubt ihr, welche Bedeutung dies für die Ausprägung einer Kopfgelenksinstabilität (CCI/AAI) haben könnte?

Jedenfalls ist es, wie es ist: Um körperliche Leiden zu heilen, ist es unerlässlich, auch die psychische Gesundheit zu berücksichtigen – insbesondere da körperliche Behandlungsoptionen nicht immer grenzenlos verfügbar oder anwendbar sind. Daraus folgt natürlich nicht, dass schwerwiegende Erkrankungen allein durch Psychotherapie überwunden werden können. Das wäre ebenfalls ein Ausdruck des obigen Irrtums, nur in anderer Farbe.


Boeck, C. et al. (2016). Inflammation in adult women with a history of child maltreatment: The involvement of mitochondrial alterations and oxidative stress. Mitochondrion, 30, 197–207. https://doi.org/10.1016/j.mito.2016.08.006

Cummings, S. et al. (2021). The Study of Muscle, Mobility, and Aging (SOMMA): An Overview. Innovation in Aging, 5(Suppl 1), 124. https://doi.org/10.1093/geroni/igab046.480

Duchowny, K. A. et al. (2024). Childhood adverse life events and skeletal muscle mitochondrial function. Science advances, 10(10), eadj6411. https://doi.org/10.1126/sciadv.adj6411