CCI ist eine lange und unfreiwillige Reise. Wenn Paare sie antreten, muss die Beziehung viel aushalten. Die Ehe der Wissenschaftler Truus und Paul steht bereits seit vierzig Jahren unter dem Einfluss mehrerer chronischer Erkrankungen. Vor Kurzem kamen die beiden auf die Idee in einem tiefen Dialog zu reflektieren, welche besonderen Hürden für sie als Partner daraus erwuchsen und welchen Wege sie gefunden haben, damit umzugehen.
Eine lange Liste mit Problemen
Wie balanciert man als Paar Liebe und Verantwortung, wenn die Beziehung unter dem Einfluss einer oder mehrerer chronischer Erkrankungen steht und die damit verbundenen Probleme die schönen Momente fortwährend verdrängen? Als ob das Miteinander nur noch Folgendes bedeutet:
- finanzielle Krisen
- unerfülltem Wunsch nach Nähe
- bürokratische Hürden
- Hilflosigkeit
- Angst vor der Zukunft
- Einsamkeit
- Abhängigkeit/Autonomieverlust
- Abschied von gemeinsamen Zielen
- Kontrollverlust
- Schuldgefühle
- Überforderung
- Zweifel
- Scham

Truus und Paul beschlossen zu reden
Die Wissenschaftler Truus und Paul nahmen sich vor, diese Frage mit Blick auf ihre eigene Beziehung zu beantworten, da Truus gleich von mehreren chronischen Leiden betroffen ist (Teunissen et al., 2015). Das Paar wählte dafür eine ko-konstruierte autoethnografische Methode – ein psychologischer Forschungsansatz, mit dem persönliche Erfahrung (auto) beschrieben und systematisch analysiert werden (grafie), um soziokulturelle Erfahrung(ethno) nachzuvollziehen (Ellis, 2004).
Der kreative Part dabei stand ganz am Anfang: Truus und Paul unterhielten sich offen über für sie relevante Themen und entwickelten mit der Zeit Listen, auf denen sie Herausforderungen und Probleme festhielten, mit denen sie durch Truus‘ Erkrankung bislang konfrontiert waren. Jeder von beiden schrieb sein Empfinden über diese Schwierigkeiten aus eigener und aus Sicht des Partners nieder und teilte seinen Text daraufhin mit dem jeweils anderen. Auf Basis dessen führten Truus und Paul zwischen dem 12. Januar 2017 und dem 10. Februar 2017 tiefgreifende Unterhaltungen und erstellten währenddessen Notizen, die später zusammengefügt, nummeriert und mit Überschriften versehen wurden.
Hier ein Beispiel, zu finden in der Arbeit von Teunissen und Kollegen (2018):
12. und 14. Januar 2017 (in Morro Jable) – Zumo de naranja
Wir (Truus und Paul) sind auf der spanischen Insel Fuerteventura für einen dreiwöchigen Urlaub.
In einem Supermarkt in Morro Jable haben wir ein Papier-Notizbuch mit sonnigen Strandbildern auf dem Umschlag gekauft, und wir nutzen es, um festzuhalten, worüber wir sprechen. […] Wir sprechen darüber, dem Kranksein für eine Weile zu entkommen – und darüber, wie sehr das unsere Beziehung berührt.
P: Als dein „informeller Pflegender“ […] mache ich mir Sorgen um dich. Ich frage mich, ob du in meiner Obhut sicher bist, da ich keinerlei medizinische Ausbildung habe.
T: Für mich ist es schwer, das zu akzeptieren. Nicht, dass eine Partnerin sich um den anderen kümmert – das gehört zur Liebe dazu. Das ist zutiefst menschlich: für jemanden sorgen zu wollen, besonders für den geliebten Menschen.
Womit ich ein Problem habe, ist nur Fürsorge zu empfangen, denn das schafft ein Ungleichgewicht. Romantik, Intimität und Leidenschaft werden dadurch weniger. Ich finde, wir müssen kleine Dinge finden, die das aufrechterhalten. Ich erinnere mich an unseren 6. Hochzeitstag, den ich im Krankenhaus verbrachte. Vom Krankenhausbett aus – ohne die heutigen Smartphones – habe ich sehr viel Aufwand betrieben, damit dir zu Hause Blumen geliefert werden. Deine Reaktion, „Oh, das ist schön, wie hast du das gemacht […]?“ zeigte, dass du die Geste wahrgenommen hast. […]
P: Okay, ich bin nicht besonders romantisch. Jedenfalls nicht, wenn es um Blumen geht.
Ich sehe aber die Bedeutung darin, zu bewahren, dass wir einander brauchen und füreinander sorgen. Das zeige ich, wenn ich für dich koche, auch wenn du keinen Appetit hast […].
Außerdem ist es wichtig, die Krankheit als gemeinsamen Gegner zu sehen. Wir leben, essen und schlafen immer zusammen. Wir gehen diesen Lebensweg gemeinsam. […]
T: Für mich geht es um meine Rolle als Ehepartnerin im Unterschied zu deiner Rolle als Pflegeperson – also um Gleichheit, um das Sorgen für Partner und Kinder versus Selbstfürsorge, und um das Teilen des Leidens, des Mitleids und der Erwartungen.
P: Für mich geht es um die Angst, dich zu verlieren, meinen Lebensmenschen.
[…]
Wichtige Wendepunkte
Nachdem Truus und Paul ausreichend Material zusammengetragen und vereint hatten, begann der analytische Teil. Das Ziel bestand unter anderem darin, Wendepunkte zu identifizieren, also Momente, in denen sich die Beziehung der beiden, ihre Rollen oder das Verständnis füreinander sowohl wegen als auch trotz Truus Erkrankungen merklich verändert haben.
Beispiel 1: Truus wird zunehmend chronisch krank, Paul übernimmt die Pflege. Folge: Das Gleichgewicht zwischen den beiden kippt, da Truus Autonomie verliert und Paul mehr Verantwortung übernehmen muss.
Beispiel 2: Truus schenkt Paul Blumen aus dem Krankenhaus heraus, um zu zeigen: „Ich bin nicht nur Patientin. Ich liebe und gebe auch.“
Auf diese Weise entwickelten Truus und Paul ein Verständnis von gegenseitiger Fürsorge, das beide sowohl zu Gebenden als auch Nehmenden werden ließ – Truus durch emotionale Präsenz, Aufmerksamkeit und Verbundenheit, Paul durch praktische und körperliche Unterstützung.
Die Liebe der beiden vereinte somit gemeinsame Verletzlichkeit und Beziehungsarbeit, die sich durch Geduld, Respekt und Nähe auszeichnete.
Nähe trotz Krankheit
Hier ein paar Beispiele, wie Truus und Paul ihr Bedürfnis nach Nähe pflegten:
Offene und ehrliche Gespräche:
Sie sprachen regelmäßig darüber, wie es ihnen emotional ging.
Gemeinsame Rituale für Verbundenheit:
Sie tranken zusammen Kaffee.
Aufmerksame Gesten:
Kleine Zeichen der Zuneigung (eine Tasse Tee bringen) waren fester Bestandteil des Alltags.
Gegenseitige Anerkennung:
Beide würdigten, was der andere leistete – egal ob körperliche Pflege oder emotionale Präsenz.
Gemeinsame Erinnerung:
Sie erzählten oft von schönen Momenten, um das Gefühl „Wir sind ein Team und bleiben es“ zu stärken.
Flexibilität:
Sie gestalteten ihr Leben nicht gegen die Krankheit, sondern mit ihr.
Pflege der Intimität:
Intimität wurde neu definiert, nicht aufgegeben.

Und bei euch?
Truus und Paul schafften es, durch bewussten Perspektivwechsel und intensive Gespräche ein neues, angepasstes Beziehungsgleichgewicht zu entwickeln, wodurch ihre Bindung trotz Truus‘ Erkrankungen und den damit verbundenen Schwierigkeiten über einen Zeitraum von über 40 Jahren wuchs.
Auch wenn CCI in der Beziehung der beiden keine Rolle spielt (Teunissen et al., 2015): Vielleicht sind Truus und Paul für einige von euch eine Inspiration. Vielleicht kennt ihr aber auch noch mehr Tipps, wie Partnerschaft mit CCI oder chronischer Erkrankung im Allgemeinen gut gelingen kann. Schreibt sie gern in die Kommentare oder schickt sie mir per Mail (wirbelwirrwarr@gmail.com) – dann sammeln wir ein bisschen.
Ich wünsche euch alles Liebe!
Ellis, C. (2004). The ethnographic I: A methodological novel about autoethnography. Walnut Creek, CA: AltaMira Press.
Teunissen, G. J., Lindhout, P., & Abma, T. A. (2018). Balancing loving and caring in times of chronic illness. Qualitative Research Journal, 18(3), 262–273. https://doi.org/10.1108/QRJ-D-17-00030
Teunissen, G. J., Visse, M. A., & Abma, T. A. (2015). Struggling Between Strength and Vulnerability, a Patients‘ Counter Story. Health care analysis : HCA : journal of health philosophy and policy, 23(3), 288–305. https://doi.org/10.1007/s10728-013-0254-3
Leave a Reply