Letzte Woche hatten mein Mann und ich Streit.


Meine Sanduhr

Schon seit Tagen buckelte ich – für meine Umgebung nicht sichtbar – eine monströse und äußerst unhandliche Sanduhr durch die Welt, ungefähr so wie der Titan Atlas das Himmelsgewölbe. Und meine Sanduhr wurde immer voller, von Sekunde zu Sekunde, je länger mein Schub mich ärgerte.

Ich wollte ja, aber ich schaffte es einfach nicht, mich zu einem Lächeln, geschweige denn Interaktion zu überreden. Alles, was ging, waren ein monoton-ausdrucksloser Blick – so einer von der Sorte, die andere zum Kauf einer Schusswaffe bewegen – und allenfalls ein gekünsteltes „Naaa?“, um da und dort zumindest ansatzweise Interesse an meiner Umwelt vorzuheucheln.

Diesmal ging es heißer her

Es kam also, wie es kommen musste: Nach ein paar Tagen hatte mein Mann (verständlicherweise) die Nase voll und wir fingen an zu streiten. Eigentlich gar kein Drama, denn wir fetzen uns ziemlich oft, wenn ich krankheitsbedingt nicht mehr funktioniere oder alles Mögliche von mir wegschiebe. Diesmal ging es allerdings etwas heißer her, nachdem ich mir Folgendes anhören musste: „Reiß dich doch einfach mal zusammen!“

Ich begann sofort zu toben: „Ernsthaft?! Du solltest es doch besser wissen!“ Und dann explodierte ich: „Ich wünsche dir nur einen Tag in meinem Körper! Und dann versuch mal, dich zusammenzureißen!“

In der Notfallaufnahme

Selbstverständlich meinte ich es gar nicht so, sondern schämte mich sofort dafür. Niemand verdient es, krank zu sein, nicht mal für ein Exempel. Aber genau das passierte:

Mein Mann lag Montagabend im Bett und konnte nicht schlafen. Plötzlich bekam er Herzstolpern und ein unbekanntes Gefühl breitete sich in ihm aus. Seine Brust wurde eng, kalter Schweiß bildete sich und er erlebte Todesangst – alles während ich seelenruhig schlief.

Als ich am nächsten Morgen im leeren Bett aufwachte, sah ich zwei Nachrichten auf meinem Handy: „Ganz ruhig! Mein Vater fährt mich in die Notfallaufnahme“ und „Bin wieder da! :-*

Auslöser des Dramas war ironischerweise eine Blockade in seiner Brustwirbelsäule in Kombination mit einer Panikattacke. Als er mir erzählte, wie es ihm in jener Nacht ging, sagte er:

Mein Mann hats begriffen. (Bild: wirbelwirrwarr)

Zusammenhalt ist schon irgendwie eine Meisterleistung

Wenn jemand krank ist, leidet er nicht allein. Auch Partner und Verwandte haben an der Situation zu knabbern. Bei allem Verständnis und bei aller Fürsorge, irgendwann überwiegt auch mal der Frust und es kommt zu Streitereien. Ich finde, besonders wenn eine Erkrankung so abstrakt ist wie CCI/AAI, ist partnerschaftlicher Zusammenhalt schon irgendwie eine Meisterleistung.

Ich meine, wenn man sich mal durch den Kopf gehen lässt, wie grausam es sein muss, den Partner leiden zu sehen und nichts ausrichten zu können – sowas macht einen doch irre. Irre traurig. Irre wütend. Nur kann dieser ganze Salat dunkler Emotionen nirgends hin. Die Krankheit anschreien? Klar, die hätte es verdient. Doch sie stört sich nicht dran. Doch das soll sie gefälligst! Sie soll reagieren, damit klar ist, dass die Botschaft bei ihr angekommen ist! Doch das wird sie nicht.

Wen soll man denn beschimpfen?

Also was bleibt? Genau: Den kranken Partner beschimpfen. Denn der kann und der wird reagieren.

Aber auch das ist nicht wirklich befriedigend, bringt mitunter sogar mehr Probleme. Wer oder was wäre stattdessen ein gutes Ziel, hin und wieder den angestauten Frust abzubekommen? Der Nachbar? Der Postbote? Der Arzt? Oder doch der Kranke, wenn er in Abstimmung kurz in die Rolle seiner Erkrankung schlüpft und ihr damit ein Gesicht und vor allem Ohren verleiht, die alles zu hören bekommen müssen, was dem Partner auf der Seele lastet? Warum nicht? Aus so einem psychologischen Rollenspiel kann man schließlich jederzeit aussteigen. Und ich meine, selbst einer Krankheit sind gewisse Dinge nicht ganz gleichgültig.