Es ist eigenartig. Überall, wohin ich sehe, sind die Leute krank und lamentieren. Doch das scheint irgendwie ok zu sein.


Ein ganzes Kinderleben

Damals, als ich ein Kind war, gab es zwei sonderbare Begriffe, die mir unverhältnismäßig oft begegneten und mich somit unentwegt beschäftigt hielten: „DDR-Zeiten“ und „Fersensporn“.

Der erste Begriff tauchte gefühlt an jedem Satzanfang auf und klang immer ein wenig ehrfurchtgebietend: „Zu DDR-Zeiten…“ Irgendwann hatte ich diese Floskel so oft gehört, dass sie sich für mich nur noch wie ein überflüssiger Sprachpartikel anhörte – ähnlich dem kleinen Wörtchen „halt“.

„Fersensporn“ hingegen war das Lieblingswort meiner Oma und bezeichnete einen Feind, dem weder mit Geleinlagen, noch Salben oder orthopädischem Schuhwerk beizukommen war. Das Gute daran: Es gab immer etwas zu erzählen. Und im Zweifel konnte so ein Fersensporn auch einen ganzen Abend ausfüllen. Oder ein ganzes Kinderleben.

Die Funktion von Ärgernissen

Meine Theorie (bzw. Alfred Adlers, der ich bedenkenlos zustimme): Dinge, über die Menschen sich scheinbar ärgern, haben eine Funktion. Krankheit zum Beispiel ist ein treffliches Gesprächsthema, zieht Aufmerksamkeit an (was in manchen Fällen gut und wichtig, in anderen jedoch unbestreitbar destruktiv sein kann) und lässt sich sogar in eine hierarchische Struktur pressen – wie bei Maslow, nur eben ohne Spitze. Die Spitze – Selbstverwirklichung, wenn wir dabei bleiben – existiert für von Krankheit befallene Menschen jedoch im Grunde gar nicht, weil ihr „schlimmes Los“ ohnehin verhindern würde, dass sie dorthin gelangen können. Das Ende der DDR-Zeiten, besser gesagt die nackte Tatsache, dass sich damals überhaupt irgendetwas verändert hat, erfüllt offenbar den gleichen Zweck:

Menschen sind offenbar froh darüber, einen Grund zu haben, der sie davon abhält, etwas zu riskieren, um Zufriedenheit zu erreichen, während zugleich versucht wird – Herr Adler drückte es ganz wunderbar aus – den „Schein des Wollens“ am Leben zu erhalten wie ein im Sterben Liegender. Schon ein bisschen neurotisch.