Ihr erinnert euch: Vor einiger Zeit habe ich euch ein faszinierendes Erklärungsmodell multisystemischer Erkrankungen vorgestellt, in dem instabile Kopfgelenke als ein möglicher Auslöser fest verankert sind: der ONOO–Zyklus. Er taucht an vielen Stellen in Dr. Kuklinskis Büchern und Fachtexten auf, doch außerhalb davon scheint er erstaunlich wenig bekannt zu sein. Nachdem 2007 Palls Buch „Explaining Unexplained Illnesses“* erschien, habe ich mich gefragt, was es mittlerweile Neues gibt – und stieß auf Buchstabensalat. Was ist denn bitte Nrf2?
Der ONOO–Zyklus
Martin Pall (2009) geht davon aus, dass viele chronische Erkrankungen – z. B. chronische Erschöpfung, Fibromyalgie, neurodegenerative Störungen, entzündliche Erkrankungen usw. – durch einen zellulären Überlastungszustand ausgelöst und aufrechterhalten werden. In einem Artikel aus 2024 stellt Pall seine Perspektive auf die Entstehung von Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) vor und zentralisiert ebenfalls den Dauerstress der Zellen, ausgelöst durch:
- zu hohe Kalziumströme in die Zelle
- oxidative und nitrosative Belastung
- mitochondriale Schwäche
- chronisch aktive Entzündungswege
Pall zufolge können all diese Prozesse in den sich selbstverstärkende ONOO–Zyklus übergehen. Doch es gibt womöglich einen Ausweg.
Nrf2
Hier kommt Nrf2 ins Spiel – der „zellinterne Reparatur- und Schutzschalter“, der – sobald er aktiviert wird – hunderte Schutzgene hochfährt, die wichtig sind für:
- Antioxidative Abwehr
- Entzündungshemmung
- Mitochondriale Funktion
- Entgiftung
- Zellrecycling
- Senkung von NO/ONOO–
Für Pall (2024) ist Nrf2 einer der wichtigsten natürlichen Gegenspieler des zellulären Dauerstress-Kreislaufs. Somit schlägt er Nrf2-aktivierende Strategien vor:
- Phytonährstoffe (Sulforaphan aus Brokkolisprossen, Curcumin, Resveratrol, Quercetin…)
- Selen
- Bewegung & intermittierenden Stress (Hormesis = Leichter Stress kann Nrf2 aktivieren und zelluläre Schutzmechanismen „trainieren“ – z. B. durch Sport oder Kältereize.)
Aber: All das muss allerdings noch erforscht werden, auch wenn die NRF2-Aktivierung in einzelnen Medikamenten bereits mitschwingt (zum Beispiel bei MS, Yagishita et al., 2020). Pall setzt in seinem Modell zahlreiche etablierte und gut erforschte biochemische und physiologische Prozesse wie Puzzleteile zusammen und zieht daraus plausibel anmutende Schlussfolgerungen. Da sein Modell allerdings eine ganze Bandbreite sehr unterschiedlicher Erkrankungen abdeckt und erklärt, gilt es als zu unspezifisch und somit nur schwer prüfbar. Wir müssen abwarten, ob die Wissenschaft diesem Modell mit der Zeit etwas abgewinnen kann und bestenfalls anwendbare und zuverlässige Lösungen ableiten kann. Bis dahin sollten wir Palls Arbeit aber unbedingt im Auge behalten.
Pall M. L. (2024). Central Causation of Autism/ASDs via Excessive [Ca2+]i Impacting Six Mechanisms Controlling Synaptogenesis during the Perinatal Period: The Role of Electromagnetic Fields and Chemicals and the NO/ONOO(-) Cycle, as Well as Specific Mutations. Brain sciences, 14(5), 454. https://doi.org/10.3390/brainsci14050454
Yagishita, Y., Gatbonton-Schwager, T. N., McCallum, M. L., & Kensler, T. W. (2020). Current Landscape of NRF2 Biomarkers in Clinical Trials. Antioxidants (Basel, Switzerland), 9(8), 716. https://doi.org/10.3390/antiox9080716
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