„Du musst deine tiefen Nackenmuskeln trainieren!“, lautet ein Rat, den Wackelhälse vermutlich oft zu hören bekommen. Mehr Kraft, mehr Stabilität – so jedenfalls der Gedanke dahinter. Doch wusstet ihr, dass die tiefen Nackenmuskeln primär gar keine mechanischen Stabilisatoren sind, also nicht wie große Rumpfmuskeln oder feste Bänder funktionieren? Ihr Job ist viel filigraner.
Erstmal aufräumen
Bestimmt wurde dem einen oder anderen von euch schon mal ans Herz gelegt, die Kräftigung der tiefen Nackenmuskeln zum obersten Ordnungspunkt bei der Bewältigung eurer CCI zu erklären. Der Gedanke dabei: Je mehr Muskelmasse, umso mehr Stabilität. Aber trifft das den Nagel überhaupt? Und was ist eigentlich gemeint, wenn von tiefen Nackenmuskeln die Rede ist? Was ist mit den oberflächlichen Muskeln? Gibt’s zwischen beiden Gruppen relevante Unterschiede? Und wenn ja, was bedeutet das?
Ich glaube, es braucht mal wieder eine Aufräumaktion.
Die oberflächlichen Nackenmuskeln unter der Lupe
Bevor wir einen Blick auf die tiefen Nackenmuskeln schmeißen, müssen wir uns bewusst machen, dass es dementsprechend auch oberflächliche Muskeln rund um die Halswirbelsäule geben muss. Dazu gehören (es gibt also noch andere):
| Muskel | Funktion | Besonderheit / Lage |
|---|---|---|
| M. trapezius (Pars descendens – absteigend) | Kopfhebung, Drehung, Schulterhebung | Großflächig, gut tastbar |
| M. sternocleidomastoideus | Kopfneigung zur Seite, Drehung zur Gegenseite | Bildet „Halsmuskelstrang“ |
| Platysma | Hautspannung, mimische Funktion | Sehr oberflächlich, kaum bewegungswirksam |

Aufgaben
Kraft und Schnelligkeit
- Oberflächliche Muskeln sind kraftvoll und schnell, aber weniger feinfühlig für Haltung und Position. Sie spielen bei der Propriozeption eine untergeordnete Rolle, im Vergleich zu tiefen Muskeln (Cooper & Daniel, 1963; Kulkarni et al., 2001).
Spannungskontrolle
- Sie besitzen, verglichen mit tiefen Nackenmuskeln, Golgi-Sehnenorgane, also Rezeptoren, die vor allem auf Muskelspannung reagieren und für die Übertragung der Stärke der Kontraktionskraft während der Bewegung wichtig sind (Maas et al., 2022).
Die tiefen Nackenmuskeln unter der Lupe
Nun ein Blick auf die tiefen Nackenmuskeln. Allerdings müssen wir erstmal unterscheiden: Reden wir von den tiefen Nackenmuskeln im Allgemeinen oder reden wie zum Beispiel von den Suboccipitalmuskeln? Das ist wichtig, denn in der Literatur und Forschung wird oft keine klare Trennung zwischen den verschiedenen Gruppen tiefer Muskeln vorgenommen. Therapeutisch kann das jedoch ziemlich irreführend sein
- Denn während der M. longus colli zum Beispiel eher für die segmentale Stabilisation der unteren HWS wichtig ist,
- braucht es den M. multifidus cervicis besonders für die Propriozeption (Boyd-Clark, 2002), ähnlich wie die Suboccipitalmuskeln, die somit auch entscheidend für die sensomotorische Kontrolle der Kopfgelenke sind.
Gerade bei sensiblen Fällen wie halswirbelsäulenbedingtem Schwindel, instabilen Kopfgelenken oder chronischen Nackenschmerzen könnte diese Differenzierung entscheidend sein.
Die Suboccipitalmuskeln
Am besten, ich stelle euch nach und nach einige Gruppen tiefer Nackenmuskeln vor, angefangen bei den Suboccipitalmuskeln. Wie ihr Name (sub = unter; occipital = Hinterhaupt) bereits andeutet, befinden sich diese Muskeln ganz nah an den Kopfgelenken. Sie heißen:

Aufgaben
Feinkoordination und Bewegungssteuerung
- Die Suboccipitalmuskeln sind extrem reich an Muskelspindeln (Kulkarni et al., 2001; Liu et al., 2003; Boyd-Clark et al., 2002), mit denen sie kleinste Veränderungen in Spannung und Länge registrieren können.
- Kulkarni und Kollegen (2001) erklären: Die hohe Spindeldichte in diesen Muskeln – zusammen mit dem Mangel an Golgi-Sehnenorganen – weist darauf hin, dass diese Muskeln nicht primär für die Bewegung von Gelenken verantwortlich sind, sondern vielmehr die Position und Bewegung der oberen Halsgelenke erfassen und überwachen. Sie senden afferente Informationen (sensorische Signale) in das zentrale Nervensystem.
- Das heißt: Suboccipitalmuskeln füttern das Nervensystem mit Informationen über die Position des Kopfes und über Bewegungen (Sung, 2022).
- Sie wirken also vor allem propriozeptiv – sie erfassen Bewegungen, anstatt sie großflächig zu erzeugen oder zu blockieren.
Reflexartige Feinstabilisierung
- Durch ihre Nähe zur Rotationsachse der Halswirbelsäule (insbesondere nah an Atlas und Axis) können sie kleine und schnelle Ausgleichbewegungen initiieren – als eine Art Feinjustierung.
- Diese Eigenschaft verhilft zu segmentaler Stabilität, vor allem bei plötzlichen Bewegungen.
Fluglotsen
Wenn ich so darüber nachdenke: Die Suboccipitalmuskeln kommen mir wie Fluglotsen vor. Sie sind nicht dafür zuständig, große Bewegungen auszuführen – das übernehmen die „Piloten“, also die oberflächlichen Muskeln. Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, im Hintergrund Informationen über die Position und Bewegung des Kopfes zu sammeln und an das Gehirn weiterzuleiten. Wie Fluglotsen überwachen sie dabei ständig den „Luftraum“ rund um den Kopf. Und genau das ist die Grundlage für eine Reihe automatischer Steuerungsmechanismen, also Reflexe, die dafür sorgen, dass wir uns stabil durch den Alltag bewegen können. Das umfasst:
- Cervico-collic-Reflex (CCR), der bei plötzlicher Dehnung der Nackenmuskulatur automatisch für Kopfstabilität sorgt.
- Cervico-ocular-Reflex (COR) hilft dabei, den Blick stabil zu halten, auch wenn sich der Kopf bewegt.
- Tonic Neck Reflex (TNR) trägt zusammen mit anderen Gleichgewichtsmechanismen zur posturalen Stabilität bei.
Folgen einer Dysfunktion
Arbeiten unsere Fluglotsen nicht richtig – etwa aufgrund von Schmerzen, Fehlhaltung, Verletzung oder Inaktivität – kann das Zusammenspiel dieser Reflexe behindert werden. Die Folge: Der Kopf fühlt sich instabil an, die Augen „springen“ beim Bewegen, Schwindel oder Gleichgewichtsstörungen treten auf.
Ein Klassiker aus dem großen Pool möglicher Fehlhaltungen ist die Forward Head Posture (FHP), die laut Sung (2022) weitreichende strukturelle und funktionelle Folgen haben kann. Die suboccipitalen Muskeln verkürzen sich, entwickeln Triggerpunkte, verlieren an Kraft und Ausdauer, und zeigen im Verlauf sogar Zeichen von Fettinfiltration. Diese Veränderungen mindern auch die Qualität der propriozeptiven Rückmeldungen, denn um eine stabile Wahrnehmung von Kopf- und Körperposition zu gewährleisten, benötigt unser Gehirn zuverlässige Informationen aus drei Systemen:
- Vestibuläres System (Gleichgewichtsorgan im Innenohr)
- Visuelles System (Augen)
- Propriozeptives System (unter anderem aus tiefen Nackenmuskeln und Gelenkrezeptoren)
Funktioniert nur eines dieser Systeme – wie bei einer Dysfunktion der Halswirbelsäule – fehlerhaft, kann es zu einem sensorischen Konflikt kommen. In der Folge entstehen zum Beispiel Unsicherheitsgefühle, Spannungskopfschmerzen, Gleichgewichtsstörungen oder Schwindel – obwohl das Vestibularorgan selbst gesund ist.
Einer der ersten, der annahm, dass Rezeptoren im oberen Zervikalbereich durch Entzündung, Trauma oder Degeneration falsche Lageinformationen liefern könnten, war übrigens Hinoki (1985).
Ihm zufolge entsteht Schwindel nach einem Schleudertrauma durch eine hohe Erregung zervikaler Propriozeptoren und durch eine zentrale Dysfunktion (z. B. im Hirnstamm oder Kleinhirn).
Und ebenfalls wichtig: Eine gestörte Muskelspannung kann auch die Spannung der Dura mater (harte Hirnhaut) und somit die Zirkulation des Liquors (Nervenwasser, das dem Rückenmark und dem Gehirn als Polster dient) beeinflussen – denn die suboccipitalen Muskeln sind durch sogenannte Myoduralbrücken mit der Dura mater des Rückenmarks verbunden. Symptome wie Kopfdruck, Schwindel oder Nackenschmerzen können auftreten.
Übersicht über die tiefen Nackenmuskeln
Die tiefe Nackenmuskulatur umfasst mehr als die Suboccipitalmuskeln. Und darüber hinaus gibt es auch Muskeln im vorderen Bereich der Halswirbelsäule, also ventral. Hier mal eine grobe Übersicht zu allem, was wir bisher ausklamüsert haben, ergänzt um Muskelgruppen, die es sonst noch gibt:
1) Subocczipitale Muskulatur
Lage: Ganz tief, zwischen Schädelbasis (Os occipitale) und obersten Halswirbeln (C1–C2)
Muskeln:
- M. rectus capitis posterior minor
- M. rectus capitis posterior major
- M. obliquus capitis superior
- M. obliquus capitis inferior
Propriozeptive Rolle:
- Extrem hohe Dichte an Muskelspindeln (bis zu 200 Spindeln/g Muskel!)
- Funktionieren wie Hochleistungs-Sensoren für Kopfposition, Blickstabilität und Gleichgewicht
- Liefern zentrale Infos für COR, CCR und TNR
- Wichtig bei z. B. Schleudertrauma, cervikogenem Schwindel, „Wackelkopf“-Gefühl
2) Prävertebrale Muskulatur (ventral, tief vorne an der HWS)
Lage: Vorderseite der Wirbelsäule, direkt vor den Wirbelkörpern
Muskeln:
- M. longus colli
- M. longus capitis
- M. rectus capitis anterior
- M. rectus capitis lateralis
Propriozeptive Rolle:
- Verantwortlich für die tiefe, segmentale Flexion und Stabilisierung der HWS
- Enthalten ebenfalls Muskelspindeln – jedoch weniger als die subokzipitalen Muskeln
- Wichtig zur kontrollierten Bewegungseinleitung, besonders bei Aufrichtung, Haltungskorrektur und bei der „Deep Neck Flexor“-Rehabilitation
3) Tiefe autochthone Rückenmuskeln der HWS (dorsal, segmental)
Lage: Zwischen den Dornfortsätzen und Querfortsätzen der Halswirbel, segmentweise
Muskeln:
- Mm. interspinales cervicis (zwischen Dornfortsätzen)
- Mm. intertransversarii cervicis (zwischen Querfortsätzen)
- M. multifidus cervicis (von Quer- zu Dornfortsatz mehrerer Wirbel)
Propriozeptive Rolle:
- Arbeiten als Feinkorrektursystem zwischen einzelnen Wirbeln
- Sehr gut mit spinalen Steuerzentren verschaltet
- Essenziell für segmentale Stabilität und „Antizipation“ von Bewegungen
- Bei Dysfunktion oft „stumme Helfer“, die dann durch grobe Muskulatur kompensiert werden → Überlastung!
Oberflächlich vs. tiefe Muskulatur
Und damit ihr es nochmal etwas kompaketer habt, hier die Unterschiede zwischen suboccipitalen (tiefen) Muskeln und oberflächlichen Nackenmuskeln anhand der Angaben aus Sung (2022):
| Merkmal | Subocczipitale (tiefe) Muskeln | Oberflächliche Nackenmuskeln |
|---|---|---|
| Lage | Tief, direkt an der oberen Halswirbelsäule (C0–C2) | Oberhalb der tiefen Schicht, näher an der Haut |
| Beispiele | RCPma, RCPmi, OCS, OCI | Trapezius, Sternocleidomastoideus |
| Funktion | Stabilisation, Feinjustierung, Kopf- und Augenkoordination | Grobe Bewegungen wie Extension, Rotation, Lateralflexion |
| Muskelspindeldichte | Sehr hoch (>50/g); wichtig für Propriozeption und sensorische Rückmeldung | Deutlich geringer |
| Golgi-Sehnenorgane (GTOs) | Kaum vorhanden | Vorhanden |
| Fasertypen | Überwiegend slow-twitch (Typ I) – ausdauernd und haltestabil | Mehr fast-twitch (Typ II) – kraftvoll, schnell ermüdend |
| Mechanischer Hebelarm | Kurz und ineffizient für große Bewegungen | Größerer Hebelarm, besser für Bewegung |
| Besonderheit | Verbindung zur Dura mater über Myoduralbrücken → Einfluss auf Liquorzirkulation & Spannung | Keine Verbindung zur Dura |
| Bedeutung bei CGD (Schwindel) | Hoch – strukturelle und funktionelle Dysfunktionen können CGD auslösen | Geringer, meist kompensatorisch aktiv bei Haltungsproblemen |
Wie sollten Tiefenmuskeln trainiert werden?
Eventuell hat sich bis hier bereits angedeutet, dass die Tiefennackenmuskeln sich insgesamt deutlich von anderen Muskeln unterscheiden, und ganz besondere Aufgaben haben – auch im Vergleich untereinander (Kulkarni & Babu, 2001; Liu & Pedrosa-Domellöf, 2003; Jull et al., 2009). Es stellt sich also die Frage, ob diese Tiefenmuskeln genauso behandelt werden können und sollten wie oberflächliche Muskeln.
Literaturstudie von Evelyn Bärtschi (2008)
Um dem auf den Grund zu gehen, habe ich euch mal eine Literaturstudie von Evelyn Bärtschi (2008) rausgesucht. Sie wollte wissen, ob ein speziell auf die Eigenschaften der Tiefenmuskeln der Halswirbelsäule abgestimmtes propriozeptives Training bei Nackenschmerzen sinnvoll ist. Die Fragestellung lautete also: Kann ein propriozeptives/sensomotorisches Training der Halswirbelsäule bessere Resultate bei Nackenbeschwerden erzielen als andere physiotherapeutische Interventionen?
Ergebnis:
Effektivität von Propriozeptionstraining:
- Übungen zur Kopfpositionierung, Augenbewegungen und Augen-Kopf-Koordination können:
- die Propriozeption (JPE*) verbessern,
- Schmerzen reduzieren,
- (teilweise) funktionelle Einschränkungen verringern.
- Besonders effektiv sind dynamische Trainingsformen, nicht nur statische Übungen.
Vergleich mit anderen Methoden:
- In einigen Studien war das propriozeptive Training wirksamer als Dehnungen, Mobilisation oder reine Kräftigung.
Die Bedeutung einer artgerechten Muskeltrainingsform
Ein propriozeptives Training der HWS bringt also tendenziell zusätzlichen Nutzen bei chronischen Nackenbeschwerden. Um es zu verdeutlichen: Eine verbesserte Propriozeption hat für Menschen mit Instabilität im Bereich der Halswirbelsäule folgende Bedeutung:
- Kopfpositionierungsübungen oder Augen-Kopf-Koordination → Stimulation der Muskelspindeln → genauere Positionswahrnehmung → Verbesserung der afferenten Rückmeldung an das zentrale Nervensystem → bessere Kontrolle über die Gelenkstellung → schnellere Reaktion auf Fehlstellungen oder Belastungen → Schutzmechanismus gegen Überlastung → gezieltere Muskelaktivierung der stabilisierenden Nackenmuskulatur → mehr segmentale Stabilität
Und hier nochmal als Grafik:

Eine schöne Ableitung aus Treleavens Argumentation (2008) – die im Grunde allem, was ihr bis hier gelesen habt, entspricht – rundet die Bedeutung des artgerechten Muskeltrainings sehr schön ab: Wer bei einem verstauchten Knöchel sofort die Balance trainiert, sollte das bei einem „verstauchten Nacken“ erst recht tun – denn dort hängt auch noch dein Kopf dran.
Übungsempfehlungen
Jetzt fragt ihr euch sicher, wie man dieses Wissen am besten umsetzen kann, um die Kopfgelenke zu stabilisieren. Bärtschi (2008) hat sich Gedanken gemacht und ein paar Empfehlungen in ihrer Arbeit geteilt:
Empfohlene Übungen nach Jull et al. (2007)
Die Übungen sollen zweimal täglich, schmerzfrei durchgeführt werden:
Kopfpositionierung
- Ziel: Wiederfinden der natürlichen oder einer vorher bestimmten Kopfhaltung nach aktiver Bewegung.
- Bewegungen: Flexion, Extension, Rotation, Lateralflexion.
- Hilfsmittel: Auf dem Kopf befestigter Laserpointer zur Orientierung auf ein Ziel an der Wand.
- Progression:
- Zuerst mit offenen Augen.
- Dann mit geschlossenen Augen (zur Kontrolle kurz öffnen).
Okulomotorische Übungen
- Ziel: Verbesserung der Augensteuerung unabhängig von der Kopfbewegung.
- Durchführung:
- Zuerst Augenbewegungen bei stabilem Kopf.
- Dann Kopfbewegungen bei fixiertem Blick auf ein Ziel.
Augen-Kopf-Koordination
- Ziel: Verbesserung der Koordination zwischen Augen und Kopf.
- Durchführung:
- Zuerst: Augen und Kopf bewegen sich gemeinsam zu einem Ziel.
- Später: Zuerst Blick richten, dann Kopf folgen lassen.
- Progression: Wechselnder Blick zwischen zwei Zielen.
Progression aller Übungen
- Erhöhung von Bewegungsausmaß und Geschwindigkeit.
- Variation des visuellen Ziels: z. B. von einem großen Punkt auf weißem Hintergrund zu Schrift auf unruhigem Hintergrund.
Empfohlene Übungen nach Revel et al. (1994)
Betreutes Training, zweimal die Woche für 30 bis 40 Minuten:
Passive Kopfbewegung bei fixiertem Blick
- In Rückenlage: Passive Mobilisation des Kopfes durch den Therapeuten, während Patient den Blick auf ein Ziel richtet.
Aktive Kopfbewegungen mit eingeschränktem Sichtfeld
- Im Sitz/Stand: Verwendung einer undurchsichtigen Brille, die nur einen kleinen Punkt (0,5 mm) sichtbar lässt.
- Aktive Rotationen des Kopfes, um dem Ziel zu folgen.
Kopfpositionierung mit geschlossenen Augen
- Wiederfinden der neutralen Kopfposition nach maximaler Rotation, ohne visuelle Kontrolle (Laser auf dem Kopf zur Überprüfung).
Dynamische Augen-Kopf-Koordination
- Blick und Kopf folgen einem sich bewegenden Ziel (horizontal).
- Wechsel zwischen langsamer Bewegung und plötzlichem Anhalten.
Mit Spiegeln arbeiten
2024 haben Goo in Kollegen erforscht, ob visuelles Feedback (Spiegel, Monitor) in Kombination mit Halsstabilisierungsübungen bei Menschen mit Vorwärtshaltung des Kopfes (FHP) noch besser wirken als Übungen ohne visuelles Feedback – insbesondere in Bezug auf:
- Kopfhaltung (Craniovertebral Angle, CVA)
- Propriozeption (Körperwahrnehmung des Nackens)
Dazu wurden 30 gesunde junge Erwachsene mit FHP untersucht und auch hier erfolgte eine Aufteilung in zwei Gruppen:
- Die Trainingsgruppe absolvierte Nackenstabilisierungsübungen mit visuellem Feedback.
- Die Kontrollgruppe absolvierte die gleichen Übungen ohne Feedback.
Zu Beginn der Studie und nach vier Wochen, in denen viermal die Woche für 30 Minuten geübt wurde, wurde unter anderem die Genauigkeit der Nackenbewegungen gemessen. Es zeigte sich, dass beide Gruppen ihre Kopfhaltung verbessern konnten, aber die Trainingsgruppe konnte die weitaus besseren Resultate erzielen. Visuelles Feedback on top half also, die Wahrnehmung und Kontrolle über die Nackenhaltung zu verbessern.
Cool, oder? Aber dass Spiegel super sind, hab ich ja hier schon beschrieben.
Noch ein paar Studien zur Wirksamkeit propriozeptiver Übungen
Blickübungen helfen bei Schwindel
Emam und andere (2024) untersuchten, ob Übungen zur Verbesserung des Körpergefühls im Nacken bei Patienten mit halswirbelsäulenbedingtem Kopfschmerz zu besseren Ergebnissen führt als herkömmliche Physiotherapie. Zu diesem Zweck wurden 34 Patienten mit entsprechender Symptomatik in zwei Gruppen aufgeteilt:
- Die Kontrollgruppe erhielt klassische Physiotherapie (z. B. Wärme, TENS, Dehnung)
- Die Trainingsgruppe erhielt zusätzlich ein Propriozeptionstraining, bei dem sie die Blickrichtung eines Therapeuten anhand der Kopfbewegung erraten mussten (Gaze Direction Recognition Exercise, GDRE)
Bei beiden Gruppen wurden Gleichgewicht, Gleichgewichtsstabilität und Schmerz erhoben. Die Ergebnisse zeigen deutlich mehr Verbesserungen in der Trainingsgruppe als in der Kontrollgruppe:
- Mehr Verbesserung beim Gleichgewicht, besonders bei geschlossenen Augen auf weichem Untergrund
- Deutlich weniger Schmerzen (69 % Schmerzreduktion vs. 50 % in der Kontrollgruppe)
Hier kommt noch mehr…
Tests zur Beurteilung der Propriozeptionsfunktion der Halswirbelsäule
Aber woher weiß man denn eigentlich, dass so ein Propriozeptionstraining sinnvoll wäre – abgesehen davon, dass sich das bei Wackelhälsen schon aus der Natur der Sache ergibt? Zum Glück gibt’s für fast alles einen Test. Es gibt also sogar Tests, mit deren Hilfe die propriozeptive Funktion der Halswirbelsäule beurteilt werden kann. Laut Treleaven (2008) sind das:
*Joint Position Error (JPE)-Test: Dieser Test misst, wie genau eine Person nach einer zuvor durchgeführten Kopfbewegung ihre ursprüngliche Kopfposition im Raum wiederfindet – ein Maß für die sensomotorische Kontrolle. Dazu wird ein Laserpointer an einem Stirnband befestigt, während die Testperson aufrecht vor einer Wand sitzt. Mit geschlossenen Augen führt sie eine Bewegung wie Rotation, Flexion oder Extension durch und versucht anschließend, den Ausgangspunkt der Kopfhaltung blind wieder zu erreichen. Die Abweichung vom ursprünglichen Punkt – meist in Zentimetern gemessen – ergibt den JPE. Abweichungen von über 4–5 cm oder 3–4° gelten als auffällig und deuten auf eine gestörte Propriozeption hin.
Oculomotorische Kontrolle (Augen-Kopf-Koordination): Hiermit wird überprüft, wie gut Augen- und Kopfbewegungen koordiniert zusammenarbeiten. Dazu kommen mehrere Tests zum Einsatz:
- Gaze Stability Test: Der Patient soll ein Ziel mit den Augen fixieren, während er den Kopf in verschiedene Richtungen bewegt.
- Smooth Pursuit Test: prüft die Fähigkeit, einem langsam bewegten Ziel mit den Augen zu folgen, während der Kopf ruhig bleibt.
- Torsionstest: dabei wird ein Ziel bei gedrehtem Rumpf (der Kopf bleibt neutral) verfolgt – dieser Test zeigt, ob eine zervikale Beeinflussung der Augensteuerung vorliegt.
- Ergänzend werden auch sakkadische Augenbewegungen (schnelle Blicksprünge) und die aktive Augen-Kopf-Koordination beurteilt.
Auffällige Zeichen für eine gestörte oculomotorische Kontrolle sind z. B. eine Unfähigkeit, den Blick stabil zu halten, ruckartige oder korrigierende Augenbewegungen („Nachspringen“) sowie das Auftreten von Schwindel, Übelkeit oder Sehstörungen während der Tests. Solche Beobachtungen weisen auf eine gestörte sensomotorische Integration hin – und damit auf einen klaren Bedarf an propriozeptivem und koordinativem Training.
Schlusssatz
Ich hoffe sehr, ich konnte euch ein bisschen erleuchten und erklären, weshalb Koordinationstraining – so unnütz und wirkungslos es verglichen mit hartem Krafttraining manchmal scheint – so wichtig für uns Wackelhälse ist. Unterschätzt es bitte nicht. Es muss nicht immer weh tun, damit es fruchtet. 😉
Merkt euch einfach: Tiefenmuskeln trainiert man nicht mit Gewicht, sondern mit Aufmerksamkeit. Also langsam, gezielt und mit wenig Widerstand. Ein zu grobes Training kann die afferenten Rückmeldungen stören und somit nicht nur an eurem Ziel, mehr Stabilität aufzubauen, vorbeischießen, sondern unangenehme Symptome auch noch verstärken. Das ist ein bisschen so, als würde man eine mathematisch begabte, aber sehr unsportliche Person zu einem Marathon scheuchen und Höchstleistung erwarten. Tiefenmuskeln sind jedoch wie sie sind – die Nerds im Nacken, wenn man so will. Nehmt sie so an, gebt ihnen eine passende Aufgabe und macht mit ihrer Hilfe das Beste draus. Sie werden euch unterstützen, so gut sie können. 😉
Und wie immer: Ein, wie ich finde, tolles Buch mit Koordinationsübungen könnt ihr hier bestellen. (Achtung, bezahlter Link, aber die Empfehlung gebe ich dennoch aus Überzeugung.) Und hier geht’s zum Laserpointer-Training.

Boyd-Clark, L. C. et al. (2002). Muscle spindle distribution, morphology, and density in longus colli and multifidus muscles of the cervical spine. Spine, 27(7), 694–701. https://doi.org/10.1097/00007632-200204010-00005
Cooper, S., & Daniel, P. M. (1963). Muscle spindles in man; their morphology in the lumbricals and the deep muscles of the neck. Brain, 86(3), 563–586. https://doi.org/10.1093/brain/86.3.563
Emam, M. A. et al. (2024). Proprioceptive Training Improves Postural Stability and Reduces Pain in Cervicogenic Headache Patients: A Randomized Clinical Trial. Journal of Clinical Medicine, 13(22), 6777. https://doi.org/10.3390/jcm13226777
Goo, B. W., Oh, J. H., Kim, J. S., & Lee, M. Y. (2024). Effects of cervical stabilization with visual feedback on craniovertebral angle and proprioception for the subjects with forward head posture. Medicine, 103(2), e36845. https://doi.org/10.1097/MD.0000000000036845
Hinoki M. (1985). Vertigo due to whiplash injury: a neurotological approach. Acta oto-laryngologica. Supplementum, 419, 9–29.
Jull, G. et al. (2007). Retraining cervical joint position sense: the effect of two exercise regimes. Journal of orthopaedic research : official publication of the Orthopaedic Research Society, 25(3), 404–412. https://doi.org/10.1002/jor.20220
Jull, G. A. et al. (2009). The effect of therapeutic exercise on activation of the deep cervical flexor muscles in people with chronic neck pain. Manual Therapy, 14(6), 696–701. https://doi.org/10.1016/j.math.2009.05.004
Kulkarni, V., Chandy, M. J., & Babu, K. S. (2001). Quantitative study of muscle spindles in suboccipital muscles of human foetuses. Neurology India, 49(4), 355–359.
Liu, J. X., Thornell, L. E., & Pedrosa-Domellöf, F. (2003). Muscle spindles in the deep muscles of the human neck: a morphological and immunocytochemical study. The journal of histochemistry and cytochemistry : official journal of the Histochemistry Society, 51(2), 175–186. https://doi.org/10.1177/002215540305100206
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Treleaven J. (2008). Sensorimotor disturbances in neck disorders affecting postural stability, head and eye movement control. Manual therapy, 13(1), 2–11. https://doi.org/10.1016/j.math.2007.06.003
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