Ich sitze gerade auf der Couch, aber es fühlt sich so an, als hätte jemand mein Sicherheitsseil durchtrennt und mir danach einen Schubs gegeben. In letzter Zeit baumle ich öfter am Rand einer Klippe, kaum noch in der Lage mich hochzuziehen. Und ich frage mich: Wo ist mein verdammter Katastrophenoptimismus hin? Aber um es schon mal vorwegzunehmen: Dieses kleine Tief geht vorüber. Ich weiß ja, woher es kommt.


Ich bin kein depressiver Mensch

Es entspricht zwar der Wahrheit, dass mir schon unzählige Male die Diagnose Depression aufgedrückt wurde – was mit Sicherheit auch daran liegt, dass Ärzte heutzutage so erstaunlich quantifiziert sind, dass sie sowas quasi beim Vorbeihuschen aus dem weißen Ärmel schütteln können. Hut ab, oder? Aber eigentlich bin kein depressiver Mensch – im Gegenteil. Mein Stimmungsleben ist sehr ausgeprägt, ich durchlebe also sowohl gute als auch schlechte Gefühle sehr intensiv, bin dabei jedoch sehr reflektiert und kann im Zweifel den notwendigen Abstand schaffen.

Vor Kurzem ist etwas Schlimmes passiert, deshalb bin ich niedergeschlagen – sogar so sehr, dass es mich selbst gruselt. Doch ich weiß auch, wie ich ticke und kann mir glaubhaft machen, dass es neben Schatten auch Licht geben muss.

Aber kennt ihr das? Wenn ihr zwar wisst, dass irgendwann auch wieder bessere Zeiten kommen, es euch aber partout nicht gelingt, das wirklich zu glauben? Weil einfach alles Scheiße ist! Weil nichts so läuft, wie es sollte! Weil ein beiseitegeschaffter Steinschlag nur bedeutet, dass jeden Moment der nächste folgt? Weil man sich auf niemanden verlassen kann! Weil die Welt so dunkelschwarz ist, dass man nicht atmen kann!

Und kurz darauf rudert man zurück und fragt sich: Aber was ist mit den anderen – denen es viel schlechter geht? Herr Müller zum Beispiel hatte schon vier Beinamputationen – was soll der denn sagen? Anstatt zu jammern, macht er das Beste draus! Wieso kann ich das nicht? Wieso liege ich hier rum und kriege nichts auf die Reihe? Wieso kann ich nicht dankbar sein für das, was ich habe? Herr Müller darf sich schlecht fühlen – der hat keine Beine! Ich habe doch alles. Also muss ich mich gefälligst zusammenreißen!

Du darfst

Tja, so sehen sie eben aus – diese Momente, in denen man denkt:
„Es gibt Schlimmeres. Ich dürfte mich eigentlich gar nicht so schlecht fühlen.“

Aber:
Doch. Du darfst!

Denn Katastrophenstimmung ist nicht nur eine Frage von aktuellen Einflüssen. Katastrophenstimmung entsteht auch, wenn zu viel zu lange zu schwer war; wenn du die Zähne schon hundert Male zusammengebissen und du alles gegeben hast – und dann kommt wieder etwas, das alles kippt. Kein Mensch, der noch alle Tasse im Schrank hat, käme dann auf die Idee zu sagen: „Och, da ist doch nichts dabei. Das Leben ist schön, eben weil immer alles so schön schief läuft!“ Also bitte…

Luxusprobleme

Wisst ihr, ich neige oft dazu, meine Schwierigkeiten als Luxusprobleme zu bezeichnen. Das heißt, ich erkenne zwar an, dass ich Probleme habe, komme jedoch gleichzeitig zu dem Ergebnis, dass es sie höchstwahrscheinlich gar nicht gäbe, ginge es mir, verglichen mit anderen, nicht so unglaublich gut.

Aber das ist nicht wirklich zielführend. Denn Probleme sind erstmal Probleme – da gibt’s nun mal kein Vertun.

Und wenn du dich heute überfordert, enttäuscht und ausgebrannt fühlst, kommt das vielleicht daher,
dass du Verantwortung übernommen hast – und sie dir immer wieder aus den Händen gerissen wird.

Und irgendwann geht es eben nicht mehr. Dann ist selbst ein zerrissener Haargummi zu viel.

Du bist nicht falsch, weil du so fühlst.
Du bist ein Mensch, mit Herz und Seele. Und gerade erschöpft.

Ich kann nicht mehr

Und weißt du was?
Du musst heute nicht funktionieren.
Nicht weitermachen, nicht tapfer sein, nicht schon wieder sagen: „Wird schon.“

Du darfst heute müde sein. Wütend. Leer.
Du darfst die Kraft nicht mehr aufbringen wollen, etwas „nochmal richtigzustellen“ oder dich „nochmal aufzuraffen“.
Denn wer ständig kämpft, ist nicht schwach, wenn er irgendwann einfach nur sagt:
„Ich kann nicht mehr.“

Nein, du bist nicht schwach, und auch kein Jammerlappen. Du fühlst, was du fühlst. Und das nicht grundlos. Lass es zu, bleib bei dir und nimm dir die Zeit, dich zu sammeln.

Ich tue das jetzt auch.

Katastrophenoptimismus

Eigentlich bin ich ja eine Katastrophenoptimistin.
Das pflege ich zumindest immer gern mit Stolz zu sagen.
Katastrophenoptimismus – was für ein zähes Werkzeug, oder?
Er hat mich über Wasser gehalten, wenn das Wasser längst über meinem Kopf stand.
Er hat mir gesagt: „Ich schaffe das schon“, während alles in mir schrie: „Ich kann nicht mehr.“

Mein inneres Notstromaggregat.
Mein Sicherheitsseil.
Meine Fähigkeit, im freien Fall noch an den Fallschirm zu glauben – oder ihn im Sturzflug selbst zu nähen.

Und jetzt?

Jetzt sitze ich da.
Auf meiner Couch.
Haltlos.
Und mein alter Überlebensmodus will einfach nicht anspringen.

Doch vielleicht ist das ein gutes Zeichen.

Vorbei

Mit CCI war ich jahrelang im Überlebensmodus, begleitet von täglicher Angst.
Um mich selbst. Um meine Kinder. Um die Zukunft.

Das ist vorbei.

Und gerade weil ich heute so müde bin, und nichts in mir sich dem entgegenstellt, sehe ich:

Ich brauche kein Sicherheitsseil mehr, weil ich mich nicht mehr fürchten muss.
Ich bin sicher. Die Krankheit ist keine Bedrohung mehr.
Ich stehe nicht mehr an einer Klippe – ich stehe auf festem Boden.

Vielleicht muss ich mich erst daran gewöhnen,
dass kleine Stolpersteine nicht automatisch Abgründe sind.
Dass ein schlechter Tag kein Rückfall ist.
Dass Erschöpfung kein Warnsignal bedeutet.
Dass ich nicht bei jedem kleinen Wackeln sofort das Seil greifen muss.

Es ist ungewohnt, weil mein System noch immer auf Alarm horcht.
Weil ich so lange erfahren habe: Sicherheit ist trügerisch.
Aber jetzt darf ich umlernen.
Nicht mehr kämpfen. Nicht mehr zittern. Nicht mehr alles kontrollieren.

Ich darf loslassen.

Einfach leben.

Ich schaffe das

Mein Katastrophenoptimismus war mein treuer Begleiter.
Er hat mich getragen, gestützt, bewahrt.

Aber jetzt?

Jetzt darf er gehen.
Ich brauche ihn nicht mehr.
Ich habe mich.
Ich kann mich halten.
Schlimme Tage aushalten.
Es passiert ja nichts.
Es ist nur ungewohnt.
Aber ich schaffe das.