Ausnahmsweise dreht sich heute mal nicht alles um wirre Wirbel, sondern um eine Erkrankung, die die Augen betrifft. Ihren Namen trägt sie von dem Ort, wo sie 1964 als erstes beschrieben wurde, den Åland Inseln in Dänemark. Unser Sohn ist einer der sehr wenigen Betroffenen, deshalb suche ich, wo es geht, Austausch.


Hirnbluten

Als unser kleiner Engel noch nicht einmal ein halbes Jahr alt war, äußerte unsere Kinderärztin bei einer normalen U-Untersuchung einen haarsträubenden Verdacht: „Es kann sein, dass ihr Sohn Hirnbluten hat.“ Ihr könnt euch vorstellen: Sowas ist erstmal wie ein Hammer. Wie aber kam sie eigentlich darauf?

Genau wie unserer Tochter, hatte auch unser Sohnemann es sich zur Gewohnheit gemacht, seine zuckersüßen Augen den ganzen Tag ununterbrochen weit aufzureißen, zu schielen und dabei die meiste Zeit nach unten zu starren. Sonnenuntergangsphänomen nennt man das in der Schulmedizin und es löst bei Ärzten oft die Alarmglocke aus. Der Grund: Es kann (ihr werdet es erraten) auf Hirnbluten hindeuten.

Ehrlich gesagt war ich nicht der Meinung, dass etwas mit unserem Baby nicht stimmt. Er verhielt sich völlig normal, war fröhlich, neugierig, verkuschelt – wie Babys eben so sind. Trotzdem geriet ich in diesem Moment vorsichtshalber in Panik, sodass ich Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um meinen Mann und mich zum Krankenhaus zu bringen.

In der Notfallaufnahme angekommen, stürmte ich mit unserem Kleinen im Arm wie ein wildgewordener Stier an der Anmeldung vorbei und keuchte der erstbesten Schwester ein lautes „Unsere Kinderärztin schickt uns, unser Sohn hat Hirnbluten!“ entgegen. Ganz verdutzt blickte sie unseren Sohn an und sagte: „Sonnenuntergangsphänomen!“ und schob uns beide in das nächste freie Zimmer.

Was für eine Mutter bin ich?

Wahnsinn, wie schnell dann alles ging. Sofort kam ein Arzt und warf ein strenges Auge auf unseren Liebling. Inzwischen hatte auch mein Mann, der noch das Formale zu klären hatte, den Weg in das Behandlungszimmer gefunden. „Gehen Sie mal zum Hirnscan„, hieß es dann und wir wechselten in die Radiologie.

Fünf Minuten Wartezeit können sich elendig ziehen, sag ich euch. Doch als wir endlich an der Reihe waren, empfand ich den konzentriert-skeptischen Blick des Arztes, der einen dicken Schallkopf über Rabans Fontanelle schob, noch viel, viel beunruhigender. „Oh Gott„, dachte ich. „Was für eine Mutter bin ich, die nicht sieht, dass ihr Kind Hirnbluten hat?!

Die Falten auf der Stirn des Radiologen wurden immer tiefer, sein Ausdruck gruselig. Gleich würde ich die schlimmste Nachricht meines Lebens bekommen. Wie soll einer sowas verkraften?! Mein Gott, war ich fertig…

Alles in Ordnung!“, sagte der Arzt mit einem Mal und sein Gesicht wurde weich. In diesem Moment wäre ich fast in Ohnmacht gefallen.

Kurz vorm Heulen

Rabans Gehirn war ok, doch nun stand ein anderer Verdacht im Raum: Vielleicht ist etwas mit seinen Augen. Es ging also weiter in die Augenklinik. Und dort wurde auf ziemlich kreative Weise festgestellt, dass unser Sohn sehr kurzsichtig ist.

Wieso kreativ? Naja, da Babys kein Feedback geben können und auch noch nicht in der Lage sind, die üblichen Untersuchungen mitzumachen, wird die Brillenstärke „händisch“, unter Einsatz vieler, vieler, vieler Linsen festgestellt. Diese Linsen werden vor Babys Auge positioniert und per „Lupe“ geprüft, wie das Auge reagiert. Fragt mich aber bitte nicht, wie genau sowas funktioniert. Augenheilkunde ist mir ein Rätsel.

Ihr müsst euch jedenfalls vorstellen: Linse für Linse wurde seine Sehstärke schlechter. „Er hat Minus 5„, hieß es erst. „Nein, Minus 6“, kam dann die Korrektur, und ich dachte nur: „Oh Gott, er ist ein Baby!„. Doch das Ganze ging noch weiter, bis wir bei Minus 8 angekommen waren. Ich war kurz vorm Heulen.

Der Verdacht

Ich weiß noch, wie ich Raban zum ersten Mal eine Brille aufsetzte. Er sah uns und seine Umgebung ganz erschrocken an, als ob er gar nicht glauben konnte, was da gerade passiert. Es war sehr bewegend und trotzdem nicht weiter der Rede wert. Von dem Moment an wurde die Brille ein Teil von ihm. Ein sehr wichtiger Teil.

Die Frage nach dem Warum stellte sich uns fürs Erste nicht. Raban konnte endlich richtig sehen, mehr interessierte nicht. Doch das Universum ließ nicht locker und tunkte uns wenig später sozusagen mit der Nasenspitze voran in die Begründung für all das. Und das kam so:

Eigentlich war ich in eigener Sache bei einer Genetikerin unterwegs. Während sie meinen Stammbaum mit allen mir bekannten Familienkrankheiten auf ein Stück Papier malte, gewann sie mit einem Mal großes Interesse an den Sehproblemen unseres Sohnes, besonders als sie erfuhr, dass auch mein Vater und mein Onkel dahingehend Schwierigkeiten haben und niemand diese bis dahin zu erklären wusste.

Könnte okulärer Albinismus sein. Der wird auch vererbt„, warf die Ärztin in den Raum und schlug mir vor, einen Bluttest zu veranlassen. „Nur mit dem Blut meines Vaters, unser Sohn wird nicht gepiekst„, entgegnete ich und verdonnerte damit eben diesen, sich nach all der Zeit endlich eine Erklärung für seine Sehbehinderung abzuholen – win-win-win.

Mit Opapa im Schlepptau holten wir uns einige Monate später dann das heiß ersehnte Resultat: Kein okulärer Albinismus, dafür aber etwas viel abgefahreneres: Eine CACNA1F (das ist das betroffene Gen) assoziierte seltene Augenerkrankung namens Åland-Island-Eye Disease, die 1964 erstmals auf den Åland Inseln beschrieben wurde. Sie wird X-chromosomal vererbt, das heißt, die Frauen sind Überträger, bei den Männern hingegen bricht die Erkrankung aus. Der Verlauf kann unterschiedliche Formen annehmen: gleichbleibend, besser, schlechter – wie eine Wundertüte.

Merkmale der Åland-Island-Eye-Disease

Was ist nun typisch für diese Erkrankung?

  • verminderte Sehkraft
  • progressive axiale Myopie (Kurzsichtigkeit)
  • latenter Nystagmus (Augenzittern)
  • Astigmatismus
  • Nachtblindheit (muss aber nicht)
  • Protanopie (Farbfehlsichtigkeit; muss auch nicht)

Bitte melden, ich habe Fragen

All das zur Vorgeschichte. Jetzt komme ich endlich zum Kern meines Beitrags:

Falls ihr jemanden kennt, der jemanden kennt, oder falls ihr sogar selbst von dieser Erkrankung betroffen seid, dann meldet euch doch bitte bei mir. Ich würde sehr gern an euren Erfahrungen teilhaben, insbesondere mit Blick auf den Krankheitsverlauf. Vielleicht seid ihr in speziellen Augenkliniken in Behandlung und wisst dadurch, worauf es – abgesehen von den üblichen Dingen, die ein normaler Augenarzt kontrolliert – noch zu achten gilt. Wäre super. 🙂


(Foto: Marc Schulte – pexels.com)